Danielle Steel
Donnerstag.« Joes Stimme klang entspannt, als er sich von Kate verabschiedete. Doch nachdem er den Hörer aufgelegt h atte, stellte er fest, dass er feuchte Hände hatte.
Kate erging es ebenso. Sie musste ihrer Mutter mitteilen, dass Joe ebenfalls zum Dinner komm en würde. Doch das verschob sie auf den f olgenden Nachmittag, als sie nach Hause kam und
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ihre Mutter in der Küche antraf . Elizabeth überprüfte gerade das chinesische Porzellan. Ihre Tischdekorationen und Blumenarrangements waren geradezu berühmt. Als Kate die Küche betrat, schaute sie zerstreut auf.
»Hallo, Mom. Kann ich dir helfen?«
Überrascht warf Elizab eth ihrer Tochter über die Schulter hinweg einen Blick zu. Kate war immer die Erste, die die Flucht ergriff, wenn es darum ging, ihrer Mutter in der Küche zu helfen. Sie hatte schon immer gefunden, dass Hausarbeit langweilig und erniedrigend sei.
»Bist du etwa aus dem College abgehauen?«, fragte Elizabeth amüsiert. »Du hast sicher etwas besonders Schlimmes angestellt! Sonst kämst du wohl kaum auf die Idee, m ir in der Küche zu helfen. Wie schlimm ist es denn? «
»Vielleicht werde ich im College langsam reifer ?«, fragte Kate herausfordernd.
Elizabeth gab vor, ernsthaft darüber nachzudenken und sagte dann: »Das ist zwar möglich, aber doch eher unwahrscheinlich. Du bist erst seit drei Monaten dort, Kate. Die Reife wird sich nicht vor dem vorletzten Jahr einstellen, glaube ich.«
»Na, großartig! Willst du m ir damit etwa sagen, dass ich nach meiner Prüfung darauf brenne, chinesisches Porzellan zu zählen?«
»Selbstverständlich! Besonders, wenn du es für deinen Ehemann tust«, entgegnete Elizabeth entschieden.
»Mom … schon gut, schon gut. Ic h habe tatsächlich etwas angestellt, aber im Geiste de s Thanksgiving, so wie du ihn mir nahe gebracht hast.« Mit Unschuldsmiene blickte Kate ihre Mutter an.
»Hast du einen Truthahn umgebracht?«
»Nein, ich habe einen heimatlosen Freund zum Dinner eingeladen. Eigentlich eher familienlos …« Das klang in den
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Ohren ihrer Mutter durchaus vernünftig.
»Das ist aber schön, Liebling! Etwa eine deiner Kommilitoninnen aus Radcliffe?«
»Nein, jemanden aus Kalifornien«, antwortete Kate vage, in der Hoffnung, ihre Mutter gnädig zu stimmen.
»Es ist ja völlig verständlich, dass sie nicht nach Hause f ahren kann. Natürlich darfst du sie einladen. Wir werden achtzehn Personen zum Dinner bei uns haben, aber es gibt noch jede Menge Platz am Tisch.«
»Danke, Mom.« Kate schaute Elizabeth erleichtert an. Auf jeden Fall gab es Platz für ihn! »Ach, übrigens, es ist gar kein Mädchen.« Sie hielt den Atem an und wartete.
»Ein Junge?« Elizabeth riss überrascht die Augen auf. »So ungefähr.«
»Aus Harvard?« Elizabeths schien entzückt. Es ge fiel i hr ausgesprochen gut, dass Kate sich offenbar nach nur drei Monaten in Radclif fe mit einem Schüler aus Harvard traf. Und nun hörte sie zum ersten Mal davon.
»Er ist nicht aus Harvard.« Kate wagte sich ins eiskalte Wasser. »Es handelt sich um Joe Allbright.«
Schweigend blickte Elizabeth ihre T ochter an. In ihren Augen standen viele Fragezeichen. »Der Pilot? W ann hast du von ihm gehört?«
»Gestern rief er aus heiterem Himmel an. Er besucht gerade die Lindberghs und hat an Thanksgiving nichts vor.«
»Ist das nicht ein bisschen merkwürdig, dass er dich anruft?« Elizabeth war misstrauisch.
»Vielleicht.« Kate erzählte nichts von den Briefen. Es war schon schwierig genug zu erklären, warum sie Joe zum Dinner eingeladen hatte. Im Grunde wusst e sie es selbst nicht genau. Doch nun musste sie einen plausiblen Grund dafür liefern. »Hat er dich vorher schon mal angerufen?«
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»Nein, es war das erste Mal.« Das war immerhin nicht gelogen. Ihre Mutter fragte zum Glück nicht, ob Joe ihr geschrieben hatte. »Ich glaube, er m ag Dad, und vielleicht ist er einsam. Offenbar hat er überhaupt keine Fam ilienangehörigen. Keine Ahnung, warum er angerufen hat, Mom, doch als er erzählte, dass er für Thanksgiving keine Pläne hätte, tat er m ir Leid. Ich bin davon ausgegangen, dass es euch nichts ausmacht. Darum geht es doch beim Thanksgiving!« Kates Stimm e kl ang unbekümmert. Sie nahm sich eine Möhre aus dem Kühlschrank. Doch Elizabeth ließ sich nicht hin ters Licht führen, sie kannte schließlich ihre Tochter. So hatte sie sie noch nie erlebt! Und mit achtundfünfzig Jahren hatte sie noch nicht vergessen, wie man sich als junges Mädchen fühlte,
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