Danielle Steel
unfähig, sich zu rühren.
»Was?«, stieß sie schließlich mühsam hervor. Ihr Gesicht w ar totenbleich. »Ich v erstehe nicht …« Ein unbeschreibliches Entsetzen ergriff Besitz von ihr, und sie erinnerte sich an den Tag, als sie ihr Kind verloren hatte. »Wie meinst du das, Dad?« Obwohl sie so lange darauf gehofft hatte, schien es ih r in diesem
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Augenblick vollkommen unmöglich zu sein. Sie hatte sich endlich damit abgefunden, dass Joe tot war. Und nun, da sie diese Worte hörte, auf die sie so lange vergeblich gewartet h atte, schwirrte ihr der Kopf, und sie war vollkommen durcheinander. »Er wurde in der Nähe von Berlin abgeschossen«, sagte Clarke leise. »Er hatte offenbar Schwierigkeiten mit dem Fallsch irm und hat sich bei der Landung beide Beine gebrochen. Ein Bauer hat ihn versteckt, bis er sich schließlich auf den Weg zur Grenze machen konnte. Doch er wurde entdeckt und ins Gefängnis nach Colditz in der Nähe von Leipzig gebracht. Er hatte keine Möglichkeit, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen. Das Kriegsministerium sagt, dass er falsche Papiere bei sich h atte. Wenn die Deutschen seinen Namen in Erfahrung gebracht hätten, wäre es für ihn noch gefährlicher gewesen.«
Stumm starrte Kate ihren Vater an und versuchte angestrengt, sich auf seine Worte zu konzentrieren. Sie hatte den Eindruck, als würde sie selbst – nicht nu r Joe – unter die Lebenden zurückkehren.
»Er saß in Isolationshaft, und aus irgendeinem Grund haben die Deutschen auch den falschen Nam en nicht bekannt gegeben. Niemand weiß etwas Genaues. Vielleicht haben die Deutschen geahnt, dass es s ich um ei nen Codenamen handelte. Joe war sieben Monate lang in Colditz, dann konnte er fliehen. Diesmal gelang es ihm, nach Schweden zu entkomm en. Er wollte auf einem Frachter weiterf ahren, als er erneut entdeckt wurde. Er wurde angeschossen und schwer verletzt. Man vermutet, dass er für mehrere Monate im Kom a la g. Jedenfalls wurde er nach Colditz zurückgebracht. Er hatte falsche schwedische Papiere bei sich. Deshalb erschien er nicht auf den Listen der amerikanischen Kriegsgefangenen. Ich habe keine Ahnung, ob die überhaupt wussten, wer er war. Vor einigen Wochen schon hat man ihn in Colditz entdeckt, doch bis gestern war er nicht in der Lage, Auskunft über seine Identität zu geben. Jetzt liegt er in einem Militärkrank enhaus in Berlin. Kate, er ist in einem sehr
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schlechten Zustand.« Clarke hatte Mühe, das Zittern in seiner Stimme zu kontrollieren, fing sich aber dann wieder. »E r war schon halb tot, als man ihn endlich befreien konnte. Doch glücklicherweise hat er bis jetzt durchgehalten. Er wird wohl durchkommen – falls es nicht noch irgendwelche Komplikationen gibt. Seine Beine sind immer noch nicht in Ordnung, er hat sie sich ein zweites Mal gebrochen. Außerdem hat er Schussverletzungen an Armen und Beinen davongetragen. Es muss die Hölle gewesen sein. Sobald er transpor tfähig ist, wird man ihn auf einem Lazaretts chiff nach Hause bringen. Vielleicht schon in zwei Wochen, sodass er irgendwann im Juli hier sein wird.«
Kate brach in Tränen aus. Ihre Mutter beobachtete sie voller Verzweiflung. Dies bedeutete einen entscheidenden Wendepunkt in Kates Leben. Andy Scott und all das, was er ihr hätte bieten können, war passe. Es spielte gar keine Rolle, wie sehr Kate Joe liebte. Elizabeth war davon überzeugt, dass dieser Mann das Leben ihrer Tochter zerstören würde.
Clarke wünschte sich nichts mehr, als dass Kate glücklich würde. Er hatte nie viel von der Verbindung zu Andy gehalten, da er wusste, was Joe Kate bedeutete. Er hatte ihn immer respektiert und gern gehabt.
»Kann ich mit ihm spr echen?«, fragte Kate schließlich m it zitternder Stimme.
Clarke hielt das für unwahrscheinlich. Er hatte zwar den Namen des Krankenhauses notiert, doch die Verbindungen nach Deutschland waren in jenen Tagen sehr schlecht.
Kate versuchte es trotzdem. Die Vermittlung konnte jedoch keine Verbindung herstellen.
Später saß Kate in ihrem Zimmer, blickte in die Mondnacht hinaus und ließ ihren Gedanken an Joe freien Lauf. Sie erinnerte sich an die langen Monate, in denen sie davon überzeugt gewesen war, dass er n och lebte. Erst in der letzten Zeit h atte
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auch sie akzeptiert, dass er tot war.
In den folgenden Wochen hatte sie das Gefühl, von einem dichten Nebel umgeben zu sein. Jeden Tag ging sie zur Arbeit am Hafen. Sie besuchte die Männer in den Krankenhäusern, schrieb Briefe für
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