Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
Scheißmaus, weißt du eigentlich, wie beknackt das ist: ›es heißt schuld daran, nicht in Schuld, öhö öhö!‹ Da kannste gleich wieder zur Polly gehen, aber echt, wenn du hier so rumkackeiern willst, ... echt wahr!«
Das Mädchen war wirklich zutiefst beleidigt. Nun konnte ich aber selbst durch tiefes Einatmen meine Worte nicht mehr in mich zurückholen. Was ich in dem Moment sehr gern getan hätte. Wenn man einmal von jemandem so deutlich auf den Pott gesetzt wird, dann muss man zumeist zugeben, dass da etwas dran ist. Und hier war ja auch etwas dran. Egal, für welche Formulierung Luise sich entschieden hätte, ich hätte sie in jedem Fall inhaltlich verstanden. Und es war kleinlich gewesen, nicht direkt auf sie einzugehen, sondern meinem Korrekturzwang zu folgen.
Puh, war das kompliziert mit den Menschen. Das ist alles die Sprache schuld. Ganz sicher. Spricht man nicht, sagt man auch nichts Falsches. So handhaben das ja viele männliche Menschen, habe ich schon oft gehört. Es hat sich mal eine Frau bei ihrer Freundin über ihren Mann beklagt, und da erwähnte sie das. Und dass er allerdings auch nichts Richtiges sagen würde, weil eben gar nichts. Tja, da muss man schon ein bisschen herumjonglieren, bis man genau die richtige Menge redet.
Sehen Sie, das ist auch etwas, wofür ich Sie – der Falschgebrauch wie Kränkungen oder Ähnliches sei hier ausgenommen – glühend beneide: Ihre wunderbare Sprache! Und deshalb bin ich in dieser Frage sicherlich auch überengagiert. Wenngleich auch ich selbst immer wieder in Ihrer Sprache auf dem Hintern herumrutsche. Dem einen oder anderen ist es vielleicht schon aufgefallen: Ich beginne häufiger meine Sätze mit »Und«. Das stört mich selbst noch mehr als Sie, seien Sie da mal sicher, ich habe allerdings noch keine Lösung für dieses Problem gefunden. Sie hätten eine? Dann seien Sie stolz darauf und prahlen Sie nicht damit. Das ist ja eine meiner Schwächen. Ich zeige dem anderen gern, was ich kann. So passieren mir dann auch solche Sachen wie hier mit Luise. Brrr, dann möchte ich nicht ich sein!
Mit Luise gab es dann noch eine Versöhnung, ich gestand ihr, dass ich da eine Schwachstelle hätte, und sie war direkt bereit, sich zu vertragen. War ich erleichtert! Dann konnten wir uns nämlich wieder dem eigentlichen Thema zuwenden: Luises Papa.
Tja, den hatte die Tochter wohl überdosiert.
Das haben Sie gerade ganz richtig gelesen: überdosiert. Womit überdosiert? Nun, ich erkläre es Ihnen und Sie versprechen Luise und mir, nicht aus der Haut zu fahren. Luise wollte nur helfen. Wirklich. So sind Kinder. Die wollen helfen. Und dann nickt auch schon mal ein Vater ein. Gut, ich komme jetzt mit der Information, die Ihnen im Moment noch fehlt: – aber nicht ausflippen! Also: Luise hatte das zermörserte Ritalinmehl von Felix regelmäßig mit zu sich nach Hause genommen und darauf gesetzt, dass es ihrem Vater aus dessen Dauernervosität heraushelfen würde. Sie hatte quasi der Pharmaindustrie eine zweite Chance gegeben. Mit einem Ergebnis, wie es der Vater am Abendbrottisch schilderte, hatte sie natürlich nicht gerechnet. Sie hatte es sich einfach hilfreich vorgestellt, das Backmehl in der Küche mit dem Mehl aus Ritalin anzureichern, woraus ihre Mutter als leidenschaftliche Kuchenbäckerin dann einen ebensolchen Kuchen herstellte, den der Vater in seiner Frühstückspause Stück für Stück verzehrte. Montag bis Freitag jeweils ein Stück, das bedeutete eine regelmäßige Versorgung mit dem Ruhigstellerpulver, wie es der Hersteller womöglich ja auch erdacht hatte.
Wahrscheinlich sprach es für die extremen Steherqualitäten des Vaters, wenn er mit einer Dauergabe Ritalin lediglich in einer Besprechung kurz weggenuppt war, anstatt wie ein Brett umzufallen und für einen längeren Zeitraum liegen zu bleiben.
»Luise?!«, tönte es plötzlich aus dem Flur. »Mama und ich drehen eine Runde.« Jetzt steckte der Vater den Kopf zur Tür herein. »Wir sind in einer Stunde wieder da. Du bist dann bitte schon im Schlafanzug und hast die Zähne geputzt, ja?«
»Darf ich dann noch was gucken?«
»Einmal kurz ›Wallace & Gromit‹. Dann geht’s ins Bett, morgen ist wieder Schule.«
»Weiß ich auch. Tschö jetzt.«
»Tschüss, Luise, bis gleich«, das war die Mama aus dem Flur, und daraufhin fiel die Haustür ins Schloss.
»Ich hab eine Idee!« Luise sprang auf und rannte aus dem Zimmer. »Komm mal mit!«
Ich folgte ihr ins väterliche Arbeitszimmer, wo an
Weitere Kostenlose Bücher