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Dann fressen ihn die Raben

Dann fressen ihn die Raben

Titel: Dann fressen ihn die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Meinke
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seufzte.
    „Haben Sie auch was ohne Fleisch?“, fragte ich. Der Kellner kratzte sich nachdenklich am Kopf.
    „Wir könnten die Würstchen aus dem Wacholdereintopf herauspicken?“
    „Aber dann ist doch immer noch Bratensaft drin! Können Sie denn nicht einfach einen Salat ohne Fleisch machen?“
    „Doch“, antwortete der Kellner etwas angesäuert. „Salat enthält doch sowieso kein Fleisch.“
    „Nick, der Darm des Menschen ist nun mal dafür geschaffen, Fleisch zu verdauen!“, erklärte Henrik. Sandra sprang abrupt auf und stürmte nach draußen. Sie war keine Vegetarierin. Wahrscheinlich hatte sie einfach nur die Nase voll. Carsten rülpste nahezu lautlos in seine Hand und grapschte sich das letzte StückWeißbrot aus dem Korb. Celine wirkte ebenfalls unbeeindruckt.
    Meine Mutter starrte mich nervös und zugleich streng an. Ich schluckte meinen Ärger runter. Eines der Mädchen aus der Autonomengruppe glotzte mich an. Ich lächelte aus reinem Reflex zurück. Sie sah niedlich aus, klein, schmal und mit fast unnatürlich großen Augen. Hmmm.
    Nach 25 Minuten kam das Essen. Es roch penetrant nach gekochtem Schweinefleisch.
    „Nicht schlecht, Herr Specht“, sagte Henrik anerkennend zum Kellner und zwinkerte ihm zu. Er sah meine Mutter an, die abwesend lächelte, während sie immer noch die Tür anstarrte, durch die Sandra verduftet war. Mein Salat bestand aus grünen Blättern und einem Viertelliter Thousand Island Dressing aus der Flasche. Und oben drauf … Tick tack, tick tack.
    „Entschuldigung!“, rief ich den Kellner zurück. Er schlug die Hacken zusammen und verbeugte sich leicht, wobei er mich von oben herab angrinste.
    „Es ist nur … wenn ich ausdrücklich um ein Essen ohne Fleisch bitte, wie können Sie dann auf die Idee kommen, ausgerechnet Speck drüberzustreuen? Ich meine, wie blöd muss man sein!“
    „Das ist doch nur zur Verzierung.“
    „Bist du jetzt nicht ein bisschen empfindlich, Nick?“ Die Frage kam natürlich von Henrik. Ich brachte es nicht über mich, ihn anzusehen.
    „Deine Bauernhofferien kannst du dir in deinen Provinzarsch stecken!“, schrie ich und rannte nach draußen, um Sandra zu suchen.
    Draußen setzte ich mich auf einen Stein. Von Sandra weit und breit keine Spur. Ich zitterte vor Wut. Ich konnte durchaus sehen, dass es hier schön war, so war es nicht. Die Straße lag direktvor meiner Nase, aber davon abgesehen gab es hier nur Felder, so weit das Auge reichte – und es reichte weit.
    Aber ich fühlte mich auch provoziert von diesem Idyll. Das Einzige, was ich in Tølløse machen konnte, war Tourist zu sein. Die Liste in meinem Kopf brannte. Das tat sie immer, wenn ich irgendwo rumsaß, ohne etwas zu tun. Ich angelte schnell einen Afghanen aus der Tasche und zündete ihn an. Der erste Zug brannte in der Lunge, aber der Effekt war fast sofort da, und ich hörte auf, die Welt so nah an mich heranzulassen. In diesem Moment war alles in Ordnung. Ich war nirgendwo richtig anwesend, außer in meinem eigenen Kopf. Mein Leben war eine Stilübung. Alles war nur eine Stilübung. Ständig sollte ich zu irgendwelchen völlig belanglosen Sachen Stellung beziehen.
    „Willst du den etwa ganz alleine rauchen?“ Die Stimme hinter mir war nicht Sandras. Ich drehte mich langsam um und sah die kleine Autonome mit den großen Augen neben mir stehen. Ich reichte ihr den Joint, und sie zog daran.
    „Darf ich fragen“, sagte ich, „was eine Gruppe Pflastersteine werfende Gewaltpsychopathen dazu veranlasst, ausgerechnet nach Tølløse zu kommen?“
    Sie lächelte und reichte mir den Joint zurück. Obwohl ihr die Haare ins Gesicht fielen, konnten sie das amüsierte Funkeln in ihren Augen nicht verbergen. Dann zeigte sie auf ein großes Gebäude, das auf der anderen Seite eines Feldes lag.
    „Das da“, sagte sie, „ist eine Nerzfarm. Und wir haben den Verdacht, dass die Nerze noch nicht tot sind, wenn man ihnen das Fell abzieht.“
    „Fuck, das ist ja grauenhaft“, sagte ich und stellte mir einen rosafarbenden, blutenden und schreienden Nerz vor.
    „Genau.“ Sie setzte sich neben mich. Auf dem Stein war nicht viel Platz, und ihre Oberschenkel berührten meine. Tick tack.
    „Haben die da drinnen wirklich allen Ernstes Speck über deinen Salat gestreut?“
    „Jepp.“
    „Und was hast du beim Rausgehen zu deinem Vater gesagt?“
    „Er ist nicht mein Vater.“
    „Aha.“
    Wir saßen eine Weile schweigend da.
    „Warum bist du Vegetarier?“, fragte sie dann.
    „Eigentlich

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