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Dann fressen ihn die Raben

Dann fressen ihn die Raben

Titel: Dann fressen ihn die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Meinke
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abzuholen. Und jetzt musste ich vielleicht bald mit den beiden zusammen wohnen, mit Carsten und Celine. Wir fuhren lange, und Sandras Fingerknochen wurden immer weißer. Ich musste an Jütland denken. An das Internat. Wie sehr ich meine beiden Freunde vermisst hatte. Als ich zurückkam und sie mich am Bahnhof abholten, hatte ich gar nicht gewusst, wie viel das bedeutete. Obwohl Jonathan etwas distanziert gewesen war. Aber allein die Tatsache, dass er gekommen war, zählte. Damals dachte ich, dass ich Kopenhagen höchstens wieder verlassen würde, um in eine größere Stadt zu ziehen. Und Tølløse hatte gerade mal 9000 Einwohner. Vielen Dank für die Info, Henrik.
    Carsten hockte auf seinem Moped, und Celine lehnte sich gegen ihr Fahrrad, als wir ankamen. Celine kam angehüpft und küsste Henrik, während Carsten nur kurz den Kopf zum Gruß hob. Anscheinend waren wir weit und breit die Einzigen, die das Haus besichtigen wollten.
    Celine, Carsten und ich folgten dem Makler und Henrik dicht auf den Fersen, während meine Mutter zurückblieb und jauchzte: „Nein, Henrik, hast du das gesehen?“, als sie die schmiedeeiserne Wendeltreppe entdeckte, und die abgeschliffenen Holzdielen, und die rustikale Küche. Schlecht war die Hütte wirklich nicht. Ein bisschen wie aus Schöner Wohnen. Es gab einen alten Schuppen voller Gerümpel, und der Makler vertraute meiner Mutter an, dass sich darunter große Werte befänden, alte Bauernmöbel und solche Sachen, die im Kaufpreis enthalten seien. Henrik untersuchte das Fundament und erkundigte sich nach dem Gebäudezustandsbericht. „Wir sollten das schleunigst miteiner Faschine befestigen“, bemerkte er fachmännisch. Meine Mutter nickte und lächelte. Ich ging nach draußen und schnorrte eine Zigarette von Sandra. Sie sagte immer noch nichts. Es war merkwürdig. Sie konnte so unnachgiebig sein, aber wenn man sie unter Druck setzte, machte sie komplett dicht.
    „Na wunderbärchen!“, sagte Henrik und schüttelte die Hand des Maklers. „Dann würden wir den Vertrag nur noch von einem befreundeten Anwalt prüfen lassen.“ Wir anderen setzten uns wieder ins Auto, jetzt mit Celine in der Mitte und dem Fahrrad auf dem Heckträger. Carsten knatterte auf seinem Moped hinterher.
    „Na, was sagt ihr jetzt, Kinder? Seht ihr auch schon alles vor euch? In einem solchen Haus haben wir viel mehr Zeit füreinander. Und ich werde öfter zu Hause sein“, sagte er begeistert. Der reinste Albtraum! „Und ich bin in einer Viertelstunde auf der Arbeit, und die Jagdhütte im Bognæs Wald können wir nutzen, so viel wir wollen!“ Celine saß zwischen uns und lächelte. Sandra gab nur einen verächtlichen Zischlaut von sich.
    Wir fuhren nicht wieder auf die Autobahn, und meine Wahrnehmung war mittlerweile so im Eimer, dass ich den Umweg nicht kommentierte. Aber meine Mutter musste mir die Verwunderung trotzdem im Rückspiegel angesehen haben, denn sie setzte zu einer Erklärung an:
    „Ich dachte, wir könnten alle gemeinsam ins Wirtshaus zum Schuster fahren und uns ein bisschen was gönnen“, sagte sie – wie immer – lächelnd. Eigentlich lustig, denn früher war sie nicht so eine Grinsebacke gewesen. Sie hatte eher zum Lachen geneigt, war temperamentvoll, hitzig, verrückt gewesen – eine unbekümmerte Seele. Jetzt schien sie nur noch zu lächeln, vielleicht sogar ein bisschen entschuldigend. Ich verlor mich in einer düsteren Zukunftsvision über mich und möglicherweiseauch Sandra, wie wir an einem finsteren Wintermorgen auf dem Weg zum Gymnasium in Holbæk waren, wo in der ersten Stunde Volkstanzunterricht auf dem Programm stand. Und dann waren wir da. Im Wirtshaus zum Schuster. Niedrige Decken, Petroleumlampen und ein widerlicher Dunst von gebratenem Fleisch. Schweigende Ehepaare ohne Lebensfreude, die in einem langsamen, mahlenden Tempo ihr Futter kauten. Ältere, steife Junggesellen, die gebratenen Schweinebauch fraßen. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkte ich auch eine andere Gruppe. Ein paar Jugendliche, die ein bisschen wie Autonome aussahen, tranken in einer Ecke Wasser und machten einen ziemlich traurigen Eindruck.
    Als der Kellner uns die Speisekarten brachte, wurde deutlich, dass Henrik den Ort bereits kannte.
    „Ich nehme auf jeden Fall schon mal euren Wacholdereintopf. Den willst du doch sicher auch, was, Agnethe?“ Meine Mutter nickte. Celine und Carsten bestellten panierten Fisch mit Pommes. „Genau wie früher!“, bemerkte Henrik und

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