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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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Masse herunter.
    »Ich wusste gar nichts von deiner Schwester. Das muss an dem Tag passiert sein, bevor ich mit meinem Leon in Österreich war. Komisch. Lina ist so ein nettes Mädchen. Sie geht manchmal mit Leon Gassi, wenn ich Migräne habe. Bitte grüße sie von mir.«
    Ich nicke. Dann verabschiede ich mich und danke Frau Vogel noch einmal. Nur ungern lässt sie mich ziehen. Ich renne die Stufen in den ersten Stock hoch, so schnell ich kann, nur rein unter die Dusche.
    Doch dann stehe ich vor der verschlossenen Tür. Verdammt, ich kann mich nicht mehr an den Code erinnern, dabei wusste ich ihn vorhin noch. Das muss der Schock von dem Sturz sein, anders kann ich mir das nicht erklären. Ich, die mir Zahlen so gut merken kann! Ich könnte zurück zu Frau Vogel gehen oder Mama oder Oliver auf dem Handy anrufen, aber dazu fühle ich mich noch nicht in der Lage.
    Ich setze mich auf die oberste Treppenkante, taste nach dem Lederband, streife es über den Kopf. Dabei merke ich, dass ich morgen sicher blaue Flecken am Hals kriegen werde. Egal. Ich habe das Band jedenfalls noch und das ist das Wichtigste. Es ist der Beweis, dass ich nicht spinne. Und dass ich mir nichts einbilde.
    Von wem hat Lina es wohl bekommen? Ich schließe meine Hand um das Band und den Schlüssel und lehne mich gegen die Wand.
    Ich wünschte, ich wäre Tony Hill oder sonst ein neunmalkluger Ermittler, denn dann würde ich allein durch das Berühren dieses Bandes eine verschwommene Szene in Schwarz-Weiß sehen, etwas fühlen und eine Ahnung davon bekommen, was passiert ist.
    Aber ich spüre nichts. Mir ist nur kalt, weil der Angstschweiß von vorhin noch immer nicht getrocknet ist. Und ich habe Schmerzen in meinem Hintern und muss aufpassen, wie ich mich hinsetze.
    In meinem Kopf tobt es, ich kann meine Gedanken nicht recht unter Kontrolle bringen und schon gar nicht die winzigen Stimmen, die ständig um die Vorherrschaft kämpfen. Die eine kommandiert unablässig: Ruby, du musst systematischer vorgehen. Die andere seufzt leidend und stöhnt: Was bringt es, in Linas Sachen herumzuschnüffeln, davon wird sie auch nicht aufwachen. Aber wer war der Typ auf der Treppe?, fragt dann wieder die erste. Ein Irrer, Zufall, stöhnt die zweite, nein, ein Mörder, sagt die erste, vielleicht sogar Linas Mörder, und so geht das ohne Unterlass, bis ich endlich Schritte höre.
    Es ist Alex, der sichtlich schlecht gelaunt die Treppen nach oben stürmt.
    »Warum sitzt du hier draußen? Sind dir unsere Sofas zu unbequem?« Er mustert mich gründlich. »Du siehst komisch aus.«
    »Ich wollte Luft schnappen, bin blöd gestolpert, wollte zurück und hab den Code vergessen. Und was machst du wieder hier?«
    »Ich hab Hunger.«
    Als ich aufstehe, entfährt mir ein leises Stöhnen. Alex mustert mich kurz, reicht mir dann die Hand, ich greife zu und schleppe mich wortlos hinter ihm her in die Wohnung.
    Alex holt sich die kalte Pizza aus der Küche. »Lecker«, nuschelt er mit vollem Mund und setzt sich vor den Fernseher.
    »Gute Nacht«, murmele ich und beschließe zu duschen und dann über alles, was ich erlebt habe, erst mal zu schlafen. Aber das ist nicht so einfach, denn als ich mich hinlege, tut der blaue Fleck über meinem Steißbein so weh, dass ich keine Chance habe zu vergessen, was im Keller passiert ist.
    Also versuche ich es mit dem Gegenteil. Ich zwinge mich dazu, mich an jedes Detail zu erinnern, das mir einfällt. Aber das ist nicht viel. Es war so dunkel, dass ich nicht mal die Augenfarbe, die Größe oder den Körperbau des Angreifers beschreiben könnte. Er kam mir riesig vor. Andererseits lag ich am Boden. Kommt einem da nicht jeder riesig vor?
    Was ist mit der Stimme? »Still!«, hat sie gesagt. Irgendwo hab ich den Tonfall schon einmal gehört. Oder?
    Unruhig wälze ich mich hin und her und versuche es mit Schäfchenzählen, aber es klappt nicht.
    Irgendwann kommt Mam herein und schaut nach mir. Ich tue so, als ob ich tief schlafen würde. Mit ihr will ich jetzt auf keinen Fall reden.
    »Es tut mir leid«, flüstert sie. »Das ist alles meine Schuld.«
    Aber ich glaube ihr kein Wort. Sie will nur testen, ob ich wirklich schlafe. Schließlich gibt sie es auf, verlässt Linas Zimmer und ich verbringe den Rest der Nacht in einem so furchtbaren Zustand zwischen Wachen und schlechten Träumen, dass ich heilfroh bin, als der Morgen dämmert.
    III
    Da kam, als die Sonne aufging, der Schrei über sie.
((15:73))
    Seine Hände sind ausgetrocknet von der Arbeit der

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