Dann fressen sie die Raben
Perlen.
Jetzt bin ich so perplex, dass ich nicht weiß, was ich sagen soll. Das Ding ist also afrikanisch. Vielleicht hat Linas Freund das vom Tollwood, da verkaufen sie Trödel aus der ganzen Welt. Aber ich muss dringend mehr über den Freund erfahren. Von wegen, sie war unglücklich verliebt!
»Ich kenne ihren Freund leider nicht«, versuche ich es probehalber.
Samira zieht ihre Augenbrauen hoch und verdreht ihre Augen. »Ist das nicht ziemlich heuchlerisch? Er darf sich doch nur hier blicken lassen, wenn keiner sonst aus der Familie hier ist.«
Draußen beginnt ein Alarm zu piepen. Verdammt, ich muss Samira weiter ausfragen.
»Entschuldigen Sie, ein Notfall. Sie sollten ihr Musik vorspielen. Musik, die sie mag. Das hilft manchmal«, ruft sie mir noch über die Schulter zu, während sie schon nach draußen rennt.
Ich bin viel zu aufgeregt, um mich wieder ruhig hinzusetzen. Lina hat also doch einen Freund und ganz offensichtlich liebt er sie und besucht sie. Aber wieso versteckt er sich vor uns?
Es ist zum Wahnsinnigwerden. Ich weiß nichts. Aber ich muss jetzt endlich irgendwie weiterkommen. Napoleon, verdammt, das ist ein Hinweis, ganz sicher. Verdammt, verdammt, verdammt. Fluchen tut manchmal verdammt gut.
Ich nehme das Band mit dem Schlüssel und hänge es mir wieder um den Hals. Dann setze ich mich neben Lina und nehme ihre Hand in meine, achte darauf, dass ich sie nicht aus Versehen mit meinem Granatring kratze, der ein wenig erhaben ist, und halte sie fest. Und wenn ich die nächsten Jahre so neben ihr sitzen muss? Es gibt Menschen, die zwanzig Jahre lang im Koma liegen. Oder was, wenn ich nie wieder mit ihr reden kann? Ein Pflegefall, der mehr vor sich hinvegetiert als lebt? Ich schüttele den Kopf, als könnte ich so meine kranken Gedanken vertreiben, dann lege ich meine Stirn in ihre Hand. »Lina«, flüstere ich, »wir sollten zusammen Partys feiern, wir sollten mit Rasputin und Sonny in den Sonnenaufgang reiten. Wir sollten durch die Welt ziehen und Leute kennenlernen. Und vor allem sollten wir nie wieder so lange nicht miteinander reden. Es tut mir leid, dass ich deine Entschuldigung nie angenommen habe.« Tränen tropfen auf ihr Bettlaken, auch wenn ich ganz sicher nicht schon wieder weinen will. Aber ich kann nicht anders. All meine krampfhaften Nachforschungen, nur um zu verstehen, wie das passieren konnte, der ganze Aktionismus, das sind doch alles lediglich Versuche, mit meiner Hilflosigkeit fertig zu werden. Lina, ich bin so verdammt hilflos.
Es klopft an die Glasscheibe. Ich wische mir übers Gesicht und hebe den Kopf. Es ist Dennis. Er ist ganz schwarz angezogen, wie für eine Beerdigung, und in der Hand hält er einen Riesenblumenstrauß mit weißen Lilien und roten Rosen, mit dem er mir zuwinkt.
Ich reiße ein Kleenex aus der Box von Linas Nachttisch, schnäuze mich und gehe zu ihm. Mit den Blumen darf er hier nicht rein.
Als ich ihm entgegengehe, dröhnen laute Stimmen über den Gang. Wir drehen uns beide zu dem Lärm um und dann sehen wir Oliver, der sich mit Schwester Samira streitet. Ich dachte, er hätte heute frei. Was macht er also hier? Was ist da los?
»Hey, hallo!«, sagt Dennis, aber ich kann meinen Blick nicht von Samira wenden. Samira, von der ich dachte, sie würde nie die Beherrschung verlieren, sieht aus, als würde sie Oliver gleich die Augen auskratzen.
»Ruby, hallo! Hier bin ich.« Dennis schüttelt die Locken aus seinem Gesicht und drückt mir die Blumen in die Hand. »Die sind von unserem Astroklub.« Ich nehme sie automatisch entgegen und muss mich zwingen, nicht weiter zu Samira und Oliver zu starren.
»Die kannst du wieder mitnehmen«, erkläre ich, »Blumen dürfen da nicht rein.«
Er hebt eine Augenbraue. »Danke, Dennis«, sagt er. »Das ist wirklich nett von dir und den Astros.«
Er hat recht, ich muss mich ein bisschen besser zusammenreißen. »Tut mir leid. Ich nehme die Blumen mit nach Hause und gebe sie meiner Mutter, okay?«
Er mustert mich prüfend. »Du siehst so aus, als bräuchtest du dringend ein bisschen Gesellschaft. Und einen Kaffee. Komm, ich lade dich ein.« Obwohl ich gerade unmöglich zu ihm war, lächelt er mich an. Mir wird plötzlich klar, wie beschissen ich aussehen muss.
»Ich kann Lina nicht allein lassen, es soll immer jemand bei ihr sein.«
»Was, du kannst nicht mal für fünf Minuten weg?«
»Wir könnten doch hier bei ihr bleiben.«
Dennis zögert. »Ehrlich gesagt, ist das nicht so mein Ding. Ich hab’s nicht mit
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