Dann fressen sie die Raben
sagt er dann. Doch seine Worte rufen mir nur wieder Oliver ins Gedächtnis, der etwas von schwächeren Funktionen gesagt hat, und seinen Streit mit Samira. Ich frage mich, ob ich richtig handle. Sollte ich nicht doch besser im Krankenhaus sein?
Ich gehe noch schneller und Dennis folgt mir schweigend. Kurze Zeit später biegen wir in den Innenhof ein. Der Hund von Frau Vogel springt schwanzwedelnd und so stürmisch an mir hoch, dass es mich beinahe umwirft. Zum Glück stützt mich Dennis, sodass ich nicht schon wieder auf meinen lädierten Hintern falle.
»Leon, hör sofort auf damit!« Frau Vogel nähert sich keuchend und wischt ihre feuchte Stirn dann mit dem abgewetzten Ärmel ihres labbrigen erbsengrünen Wollmantels ab. »Entschuldige, Ruby, manchmal benimmt er sich sehr schlecht. Ich gehe zwar zur Hundeschule mit ihm, aber mein stürmischer kleiner General war so lange im Tierheim, da fällt es ihm schwer, Befehlen zu gehorchen.«
Ich lache sie an. Leon, der kleine General, hätte alles mit mir tun dürfen, mich sogar umwerfen, weil ich es endlich kapiert habe. Ich hätte sie am liebsten umarmt. Leon! Natürlich, das ist es! General Napoleon! Wieso ist mir das nicht früher eingefallen?
»Frau Vogel, war meine Schwester in der letzten Zeit bei Ihnen? Und hat sie Ihnen etwas gegeben, das Sie aufbewahren sollten?«
Frau Vogel schmunzelt immer noch breit, wird dann aber sofort wieder ernst. »Ach Gottchen, deine Schwester, die Ärmste, wie geht es ihr denn?«
»Den Umständen entsprechend«, erwidere ich hastig. »Aber es ist wirklich wichtig! Hat Lina Ihnen etwas gegeben?«
Ratlos schaut Frau Vogel mich an und beugt sich dann ein wenig vor. »Es tut mir leid, Herzchen, aber sie hat gesagt, das sei unser Geheimnis. Nur im Notfall darf ich es herausgeben und nur dem schwarzen Mann, der es dann holen würde. Sonst niemandem.«
Ich werfe einen Blick zu Dennis, doch der ist damit beschäftigt, mit Leon herumzubalgen, der sich benimmt, als sei Dennis sein neuer bester Freund.
»Bitte, Frau Vogel«, flüstere ich. »Ich muss alles wissen!«
Frau Vogel zögert, aber dann gibt sie sich doch einen Ruck. »Also, ich dachte, deine Schwester macht einen Witz, als sie es mir am Tag vor meinem Besuch in Österreich gegeben hat. Aber kaum war ich wieder zurück, hat tatsächlich ein junger Schwarzer bei mir geklingelt.« Sie räuspert sich und wird rot.
»Und?«
»Na ja, ich habe nicht aufgemacht.«
»Warum denn nicht?«
»Also«, Frau Vogel windet sich ein bisschen, »der hatte so einen Kapuzenpullover an und sah gefährlich aus. Und Leon hat ihn auch nicht leiden können, er hat sich die Seele aus dem Leib gebellt. Nicht so wie bei deinem Freund hier.« Sie deutet auf Dennis, der sich gerade Napoleons Ball schnappt und ihn für den Hund wirft.
»Das heißt, was Lina Ihnen gegeben hat, ist noch bei Ihnen?«
Frau Vogel nickt.
»Ich würde es gern zu Lina ins Krankenhaus bringen. Vielleicht hilft es ihr, wieder gesund zu werden.«
Frau Vogel hebt die Schultern. »Wenn ich nur wüsste, wo ich es hingestellt habe.« Sie legt den Kopf schief. »Vielleicht willst du einfach mit reinkommen und mir suchen helfen? Ich könnte uns einen schönen Tee kochen.«
Wieder werfe ich einen Blick auf Dennis. Abgesehen von den mehrfach aufgebrühten Teebeuteln – ich möchte wirklich allein sein, wenn ich Linas Sachen durchsehe. Hastig winke ich ab. »Kann ich heute Abend vorbeikommen?«, frage ich Frau Vogel. »Jetzt muss ich dringend wieder zurück zu meiner Schwester ins Krankenhaus.«
»Aber natürlich musst du das, Herzchen, natürlich.« Frau Vogel sieht ratlos von mir zu Leon. »Deine Schwester wird bestimmt wieder gesund, sie ist ja noch so jung!«
Ich verabschiede mich von Frau Vogel, und kaum ruft sie nach Leon, ist auch Dennis wieder bei mir. Er kreist mit dem Zeigefinger über seine Stirn. »Sie ist ein bisschen, äh seltsam, oder?«, erkundigt er sich und beobachtet, wie Frau Vogel und Leon nebeneinander durch den Hof trotten.
»Seltsam, aber wirklich nett«, sage ich.
Dennis rollt mit den Augen. »Nett … und völlig verwahrlost, würde ich sagen. So wie die aussieht!«
Sein Handy gibt einen Ton von sich. Er checkt das Display, dann wendet er sich mir zu. »Tut mir leid, aber ich muss noch mal zurück zum Astroklub, es gibt da ein paar Abrechnungsprobleme. Kommst du morgen?«
Ich nicke und bin froh, dass er geht, weil ich dringend über alles nachdenken muss, auch darüber, wie ich in die Wohnung von Frau
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