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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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erreicht habe, höre ich lautes Wehklagen, das vom Hinterhof zu kommen scheint.
    Wer auch immer es ist, ich hatte genug Schmerz für heute. Aber das Schluchzen klingt schrecklich, verlangt nach menschlicher Anteilnahme. Also gehe ich mit klopfendem Herzen weiter, und als ich um die Ecke biege, sehe ich Frau Vogel, die in ihrem erbsengrünen Mantel auf dem nassen Hof vor dem regungslosen Leon am Boden kniet und erbärmlich schluchzt.
    Als ich näher komme, schaut sie hoch, ihr rundes Gesicht nass von Tränen. »Er ist tot.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Er bewegt sich nicht. Und normalerweise wittert er seine Leckerlis noch im Tiefschlaf.« Sie wedelt mit einem Kauknochen vor Napoleons Nase herum, aber der Hund reagiert nicht.
    Voller Angst gehe ich neben dem Tier in die Knie und lege meine Hand auf das Fell. Zu meiner großen Überraschung fühlt sich Leon erstaunlich warm an. »Ich glaube doch, dass er lebt. Vielleicht ist er nur betäubt? Wir sollten ihn sofort zu einem Tierarzt bringen.«
    »Aber ich habe kein Auto.«
    »Ich rufe Ihnen ein Taxi«, biete ich an. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche, rufe die Taxizentrale an und erkläre die Lage. Die Telefonistin verspricht mir, gleich einen Kombi zu schicken.
    Während wir warten, frage ich Frau Vogel, was denn genau passiert ist.
    Sie streichelt Napoleon unablässig und erzählt mir, dass sie heute Spätschicht im Supermarkt hatte und ganz normal losgegangen sei. Aber als sie am Bonner Platz eine U-Bahn-Karte kaufen wollte, hätte sie bemerkt, dass sie ihren Geldbeutel vergessen hätte. Deshalb sei sie zurückgegangen. Und da lag dann Napoleon vor der Haustür, von Weitem sah es so aus, als würde er schlafen.
    »Warum denn vor der Haustür?«
    Verblüfft schaut mich Frau Vogel an. »Stimmt, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Wie ist Napoleon rausgekommen?«
    Mich überläuft es kalt. Ganz klar, jemand war in der Wohnung und hat den Hund aus dem Weg geräumt, um in aller Ruhe nach Linas Sachen suchen zu können.
    In diesem Augenblick biegt ein Taxi-Kombi in den Innenhof. Frau Vogel hat wieder Hoffnung geschöpft und holt schnell ihre große schwarze Oma-Handtasche. Dann hieven wir zusammen mit dem Fahrer Napoleon hinten auf die Ladefläche.
    Während ich die Klappe zumache, geht sie nach vorne, dann bleibt sie kurz stehen und dreht sich zu mir. Ihr dickes verweintes Gesicht zeigt einen ratlosen Ausdruck. »Mir ist immer noch nicht eingefallen, wo ich die Tüte von deiner Schwester hingestellt habe«, sagt sie und hebt entschuldigend die Hand. »Wenn du willst, mein Code ist 1234, das ist zwar eine verbotene Kombination, aber eine andere kann ich mir nicht merken. Geh ruhig rein, ich erlaube es dir und das erlaube ich sonst wirklich niemandem.« Sie öffnet die Wagentür. »Danke für deine Hilfe.«
    Das Taxi fährt los und ich hoffe für sie, dass ihr Hund wieder zu sich kommt.
    Statt nach oben zu Mam zu gehen, gebe ich den Code von Frau Vogels Wohnung ein. Ich kann mich später noch in Linas Zimmer verkriechen und trauern, aber jetzt habe ich die Chance herauszubekommen, was mit meiner Schwester passiert ist!
    Lange war Frau Vogel ja nicht weg, also hat sie denjenigen, der in ihrer Wohnung war, hoffentlich gestört, bevor er etwas gefunden hat. Als ich den Code eingebe, frage ich mich, ob der Einbrecher noch in der Wohnung ist. Andererseits ist es eine Erdgeschosswohnung. Der Einbrecher ist vermutlich aus dem Fenster gestiegen, als Frau Vogel zurückkam.
    Trotzdem mache ich die Tür nur sehr langsam auf. Es riecht wie das letzte Mal modrig, feucht, nach altem Hund und Tierfutter. Von irgendwoher kommt ein Luftzug. Meine Theorie mit dem Fenster scheint zu stimmen, denn Frau Vogel schließt die Fenster sicher, wenn sie das Haus verlässt. Das erleichtert mich etwas, dann lauert der Einbrecher hier drin nicht auf mich.
    Überall stehen überquellende Umzugskartons und Müllsäcke, der Boden ist bedeckt mit alten Pizzakartons, Zeitungen, zerknülltem Papier, Haarspangen, Socken und undefinierbaren Häufchen. Dazwischen führen schmale Trampelpfade hindurch, zum Beispiel von der Tür zum Sofa, wobei auch das auf einer Seite voller Kleider ist. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass der Eindringling in so kurzer Zeit gefunden hat, wonach er gesucht hat.
    Mutlos schaue ich von Müllhaufen zu Müllhaufen. Lina hat sich ein geradezu geniales Versteck ausgesucht. Es scheint mir vollkommen unmöglich, hier ihre Sachen wiederzufinden. Wenn ich wenigstens

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