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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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als ich das Foto das erste Mal betrachtet habe? Diese vage Ahnung, den Mann irgendwo schon einmal gesehen zu haben? Damit mache ich mich doch nur unglaubwürdig. Also halte ich den Mund.
    Schließlich mischt sich Pa ein und versichert Frau Koslowsky, dass ich bestimmt keine Ahnung habe, wer das ist oder wie der Tote heißt. Dann erinnert er sie daran, dass wir gar nicht in München wohnen und dass meine Schwester erst vor wenigen Stunden gestorben ist, woraufhin sie wieder freundlicher wird und verspricht nachzuschauen, ob dieser junge Mann als vermisst gemeldet oder sonst wie aktenkundig ist.
    Aktenkundig, das würde bedeuten, dass er schon einmal etwas Kriminelles getan hat. Aber ein Gefühl in meinem Bauch sagt mir, dass der Tote nie gegen das Gesetz verstoßen hat. Er sieht so unschuldig aus, so überrascht.
    Die Beamtin möchte, dass ich ihr das Foto für weitere Untersuchungen überlasse. Einerseits würde es mich erleichtern, das Foto los zu sein, andererseits käme mir das wie Verrat an dem Unbekannten vor. Deshalb weigere ich mich, obwohl Pa mich tadelnd von der Seite anschaut.
    Als Frau Koslowsky merkt, dass ich fest entschlossen bin, das Bild zu behalten, steht sie auf, nimmt es an sich, um eine Farbkopie zu machen und den Mann zu überprüfen.
    Dazu lässt sie uns eine Weile allein, und weil Pa stumm und wie zusammengefallen in dem klapprigen Besucherstuhl sitzt und düster aus dem Fenster starrt, lese ich alle Broschüren, die dort in einem Glasschuber herumstehen, über Drogen, über Missbrauch, über Fremdenfeindlichkeit und Mobbing. Ich kann jetzt nicht einfach hier rumsitzen. Denn dann plagen mich all diese Gedanken und ich bin einfach zu erschöpft, um noch weiter zu grübeln. Als Frau Koslowsky zurückkommt, mustert sie mich wieder eindringlich und will wissen, ob ich ganz sicher bin, dass ich zu dem Toten auf dem Foto nichts weiter sagen kann. Nachdem ich erneut verneine, seufzt sie und erklärt uns, dass der junge Mann weder vermisst gemeldet noch wegen krimineller Vorstrafen erfasst worden sei.
    Sie gibt mir das Foto wieder zurück. Ich stecke es schnell ein, will es nicht noch einmal anschauen. Eigentlich möchte ich es nie mehr betrachten.
    »Aber wenn niemand vermisst wird, wer ist dann dieser Tote?«
    Sie schüttelt ihren zarten blonden Kopf. »Wir wissen leider nicht, ob das Foto überhaupt in Deutschland gemacht wurde. Und da Sie uns auch nichts dazu sagen wollen …« Sie zuckt mit den Schultern und reicht Pa und mir ihre kleine Hand. Ihr Händedruck ist überraschend fest. Dann gibt sie mir ihre Visitenkarte und bittet mich eindringlich, sie anzurufen, wenn mir etwas zu dem Afrikaner einfallen würde, etwas, worüber ich mit ihr sprechen wollte.
    Draußen stopfe ich die Karte in meine Hosentasche und knöpfe meine Jacke zu. »Und was machen wir jetzt?«
    Pa geht zügig voran und antwortet nicht auf meine Frage. »Ich hätte mich nie darauf einlassen dürfen, dass Lina bei Oliver bleibt«, sagt er stattdessen. »Nie im Leben. Als Vater hätte ich mich besser um sie kümmern müssen. Ich hätte mehr mit ihr reden sollen.«
    »Sprichst du mit mir oder vielleicht mit irgendeinem Gott?«
    »Ich weiß, dass meine Schuldgefühle sinnlos sind, genauso sinnlos wie Linas Tod. Ruby, bitte versprich mir, dass … also, wenn du …« Seine Stimme bricht.
    »Aber Lina wollte doch gar nicht sterben.«
    Er beginnt zu schluchzen. »Umso schlimmer, umso sinnloser.«
    Ich möchte ihn gerne trösten, aber ich weiß nicht, was ich sagen kann. Ich greife nach seiner Hand, wie damals, als ich drei Jahre alt war, und drücke sie fest. Und er klammert sich daran, als wäre sie ein Rettungsanker. Schweigend gehen wir zurück zu Olivers Wohnung.
    www.wahrste-liebe.de
Blog für alle, die wirklich lieben
    Heute:
    Lieben und leiden
    Nachdem ich beim letzten Mal Stunden damit beschäftigt war, die Spannermails wegzulöschen, die mehr geile Details von meinem heiligen Tag verlangt haben, habe ich beschlossen, die Anmerkungen über unsere Berührungen nicht weiter auszuführen. Erst dann, wenn ich sicher sein kann, dass meine Seite vor solchen Idioten besser geschützt ist.
    Bisher habe ich nur von meinem heiligen Tag erzählt.
    Jemanden zu lieben, ist einfach, aber viel schwieriger ist es, die Liebe aufrechtzuerhalten, wenn sie einen leiden lässt. Und so gibt es in meinem Kalender nicht nur den heiligen Tag, sondern auch den unheiligen, eine Art Karfreitag der Liebe, der Tag, an dem ich alle Kräfte gebraucht habe, um

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