Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
Vom Netzwerk:
Schule und der geheimnisvolle Freund, von dem ich noch immer nicht weiß, wer das sein könnte. Ist er derjenige, der mir all die Hinweise gegeben hat – die Seite mit der Bildzeitung, das Foto?
    Was ihn wiederum als Mörder ausschließen würde. Ich muss noch einmal Samira besuchen und nach ihm fragen, denke ich.
    Vor mir tauchen die Lichter der Münchner Freiheit auf. Das Dach über dem Busbahnhof sieht von Weitem aus wie ein außerirdischer weißer Pilz. Ich gehe über die Leopoldstraße hinüber zum Café Münchner Freiheit. Früher haben wir hier immer Eis geholt, weil es uns viel besser geschmeckt hat als das von Sarcletti. Die noch nackten Bäume spiegeln sich in den Pfützen, die vor mir im Licht der Laternen schimmern. Melone und Stracciatella.
    Kann Gretchen damit etwas zu tun haben? Sie kennt Lina offenbar besser als die anderen. Andererseits hätte sie dann bestimmt nicht so offen über meine Schwester geredet.
    Dennis? Er hatte eine Affäre mit Lina, aber die ist schon lange her und irgendwie glaube ich ihm das.
    Bleibt Alex. Immer wieder Alex. Und natürlich Oliver, unser superheiliger Stiefvater, der Retter der Obdachlosen und Unterprivilegierten. Manche müssen ja ständig gegen ihre unheiligen Gelüste kämpfen und sind deshalb sozial so engagiert. Das würde auf jeden Fall Linas Angst erklären.
    Der Einbruch bei Frau Vogel und der Stoß in den Rücken – das kann Oliver aber nicht alles gewesen sein, da war er im Krankenhaus. Im Gegensatz zu Alex, fällt mir ein. Oder waren das nur Ablenkungsmanöver, so wie der Alte in der U-Bahn gesagt hat?
    Ich habe das Foto immer noch in der Jeansjacke, hole es raus und halte es unter die nächste Laterne.
    Das weit aufgerissene Auge scheint mich anzuschreien. Frau Vogel hat dem Schwarzen, der geklingelt hat, nicht aufgemacht. War das dieser Typ? Ich muss ihr morgen das Bild zeigen.
    Wie aus dem Nichts heraus höre ich plötzlich Schritte hinter mir. Alarmiert drehe ich mich um.
    Aber als die Schritte näher kommen, erkenne ich ein Pärchen, das Arm in Arm an mir vorbeiläuft. Sie torkelt leicht und er hat ziemliche Mühe, sie zu stützen. Dabei kichern sie die ganze Zeit.
    Ich atme auf, aber die beiden bringen mich zur Besinnung. Was denke ich mir eigentlich, hier mitten in der Nacht allein herumzulaufen? Nach allem, was passiert ist? Ich drehe mich um und überlege, eine Station mit der Straßenbahn zu fahren, aber die nächste kommt erst in zwanzig Minuten. Also renne ich los, in Richtung nach Hause. Als ich in die Karl-Theodor-Straße einbiege, fährt ein schwarzes Auto erst an mir vorbei, dann fährt es rechts ran, bremst ab. Ich bleibe stehen, bin fast erstarrt – wer ist das? Doch dann rast das Auto unvermittelt wieder los, mit quietschenden Reifen.
    Ich halte mich nicht länger damit auf zu überlegen, wer das gewesen sein könnte, sondern sprinte nach Hause, gebe den Code ein und beruhige mich erst, als die Wohnungstür hinter mir ins Schloss fällt.
    Es ist dunkel in der Wohnung und ganz still. Ich taste nach dem Lichtschalter, und als es hell wird, erschrecke ich so, dass ein Schrei aus meiner Kehle dringt.
    Oliver sitzt regungslos mit zwei Bechern und einer Thermoskanne am Esstisch und starrt mich vorwurfsvoll an.
    »Ich habe auf dich gewartet.«
    Ich muss schlucken. Hat er so im Dunkeln auch auf Lina gewartet? Will er mich aus dem Weg räumen, weil ich Verdacht geschöpft habe? Plötzlich kommt mir der Gedanke, der Afrikaner auf dem Foto könnte Oliver zusammen mit Lina gesehen haben. Ja, vielleicht hat er meine Schwester unter einem Vorwand in eine seiner heiligen Praxen bestellt, wo der Schwarze Augenzeuge von etwas wurde, das niemand je hätte sehen dürfen. Das wären dann zwei Tote, die auf sein Konto gehen.
    Ich muss mich setzen.
    »Du solltest etwas trinken.« Er schiebt mir den leeren Becher hin und schraubt die Thermoskanne auf. Dampf steigt auf und es riecht nach Pfefferminztee. Der starke Geruch verdeckt sicher jeden giftigen Beigeschmack, vielleicht ist auch Wodka drin, der ist ziemlich geschmacksneutral. Er gießt den Becher voll.
    »Und du?«, frage ich aggressiv. »Willst du nichts trinken?«
    »Ich sitze hier seit Stunden und bin schon randvoll mit Tee. Wo bist du gewesen? Deine Eltern sind ausgeflippt, sie wollten die Polizei rufen. Ich musste ihnen ein Schlafmittel verabreichen, um sie zu beruhigen.«
    »Schlafmittel«, wiederhole ich.
    »Der Tod eines Kindes ist ein furchtbares Trauma.«
    »Sag mal, liegen deine Schlafmittel

Weitere Kostenlose Bücher