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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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sie garantiert zu Hause bleiben, was wiederum meinen Plan zunichtemachen würde, Frau Vogels Müll systematisch zu durchwühlen.
    Wie gut, dass mich Pa gezwungen hat, das Valium zu nehmen, denn nach einer Nacht Schlaf kann ich jetzt trotz meiner Kopfschmerzen wieder einigermaßen klar denken. Ich hätte mich längst auf die versteckten Sachen von Lina konzentrieren sollen, statt wie ein aufgeregtes Huhn herumzulaufen und mich in Gefahr zu bringen.
    Mam beugt sich über mich, küsst meine Wangen, steckt die Decke neben meinen Schultern fest, als wäre ich noch im Prinzessin-Lillifee-Alter, und schleicht sich aus dem Zimmer.
    Ich verharre noch einen Moment regungslos, dann richte ich mich langsam auf, warte, bis der Schwindel nachlässt, danach stehe ich auf und lausche wieder an der Tür.
    Offensichtlich war meine Vorstellung ganz gut, denn alle machen sich auf den Weg. Jedenfalls höre ich Geraschel wie von Jacken, Papierknistern und Reißverschlüsse, die hochgezogen werden. Schließlich klappt die Wohnungstür.
    Ich schleiche zurück zum Bett, ruhe mich kurz aus und schnappe mir dann ein paar Klamotten, aber ich brauche ewig, um mich anzuziehen, weil mir alles wehtut.
    Erst als ich ganz sicher bin, dass alle weg sind, gehe ich in die Küche und lasse einen dreifachen Espresso aus der Maschine, den ich mit extra viel Zucker herunterspüle. Trotzdem brennt er auf meiner verletzten Zunge und schmeckt so bitter, dass sich in meinem Mund alles zusammenzieht, aber danach ist mir wenigstens nicht mehr ganz so schwindlig.
    Jetzt kann ich nur hoffen, dass Frau Vogel Frühschicht hat und schon im Supermarkt ist. Wenn ich nur einen guten Suchplan hätte, ein System! Für mein Atargatis-Forschungsprojekt hatte ich jede Menge Ideen, was die Systematik anging. Das Problem ist nicht das, was ich suche, sondern der viele andere Müll. Und das ist so ähnlich wie in der Wissenschaft, denn auch da erhält man jede Menge unerhebliches Material, aus dem man sich die entsprechenden Daten heraussuchen muss. Plötzlich fällt mir wieder der alte Mann aus der U-Bahn ein, der Zauberer. Auswege suchen. Vielleicht sollte ich eher in die Richtung denken?
    Am besten gehe ich jetzt erst einmal hinunter und mache mir ein Bild von der Lage. Ich hoffe nur, Napoleon erinnert sich daran, dass ich ihm das Leben gerettet habe. Der Gedanke bringt mich zum Grinsen. Wie sollte der Hund das wissen, schließlich war er betäubt. Aber vielleicht sagt es ihm ja seine Nase?
    Seine Nase. Hunde haben doch Spürnasen, oder? Plötzlich schießt Adrenalin wie kleine Schrotkugeln durch meinen Körper und bringt mich zum Schwitzen. Yes, das ist es!
    Das ist die Idee!
    Ich suche in Linas Zimmer etwas, das stark nach ihr riecht, was gar nicht so leicht ist, weil ich ja jetzt hier wohne und alles benutzt habe. Und ihre Kleider hängen gewaschen im Schrank. Aber dann fällt mir ihre Haarbürste im Bad ein.
    Während meiner Suche erinnere ich mich leider auch daran, dass Frau Vogel gesagt hat, Napoleon wäre aus dem Tierheim. Also nicht gerade die besten Voraussetzungen für eine Superspürnase. Müssen Hunde das nicht von klein auf schon trainieren? Egal, einen Versuch ist es wert.
    Vielleicht sollte ich noch ein Leckerli für Leon mitnehmen, falls er mich wider Erwarten als Eindringling betrachtet. Leider finde ich keinen Fitzel Wurst in dem vegetarischen Kühlschrank, deswegen nehme ich ein Stück Käse, obwohl ich keine Ahnung habe, ob Hunde den auch mögen.
    Mit der Bürste in der Hand und einer Einkaufstüte für Linas Schatz in der anderen schleiche ich die Treppen hinunter, nicht weil ich leise sein muss, sondern weil jede schnelle Bewegung wehtut.
    Ich läute Sturm bei Frau Vogel und hoffe, dass sie nicht da ist.
    Napoleon jault hinter der Tür sofort los.
    Als niemand öffnet, gebe ich mit schlechtem Gewissen den Code ein und beruhige mich damit, dass Frau Vogel mir ja erlaubt hat, nach Linas Sachen zu suchen. Trotzdem fühle ich mich wie ein Einbrecher. Ich bekomme die Tür kaum auf und muss mich dagegenstemmen. Napoleon steckt seinen Schäferhundschädel sofort durch den Schlitz und schaut mich erwartungsvoll sabbernd an. Ich kraule ihn hinter den Ohren und versuche, mich in die Wohnung zu quetschen. Wie macht Frau Vogel das nur, sie ist doch viel dicker als ich!
    Als ich endlich drin bin, werfe ich Napoleon den Käse hin, den er mit Begeisterung verschlingt. Dann schaut er mich mit großen Augen an. Okay. Jetzt weiß ich, dass Hunde Käse mögen. Oder

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