Dann fressen sie die Raben
seine Augen wie Kohlen in einem Schneemann wirken. »Was sagst du da? Wonach soll er denn gesucht haben?«
»Nach Beweisen dafür, dass Lina ermordet wurde.«
Die Reaktion kommt prompt. »Wann kapierst du es endlich?«, brüllt Alex. »Niemand hat Lina ermordet. Niemand! Sie wollte nicht mehr leben. Du willst das einfach nicht wahrhaben!« Er beugt sich ganz nah vor mich, packt mich an den Schultern und schüttelt mich, als könnte er so dabei helfen, dass ich endlich zu Verstand komme. Dabei rutscht eine Silberkette aus seinem Sweatshirt.
Eine Silberkette mit einem Anhänger.
Ein @-Zeichen.
Mir kommen augenblicklich das Ei und der Saft wieder hoch und ich schaffe es nur mit äußerster Beherrschung, den Würgereiz zu unterdrücken.
Der Schenk ist hier.
In diesem Augenblick kommt jemand zur Haustür rein. Alex versteckt die Kette wieder unter seinem Sweatshirt und ringt um Fassung.
»Ruby?«, ruft Pa. »Ruby?«
Oh Gott! Pa, der mich seit einer Stunde am chinesischen Turm gesucht hat! Er poltert in die Küche, und als er uns sieht, platzt ihm der Kragen und er schreit uns an.
Ich würde mich am liebsten in einem Mauseloch verkriechen und schäme mich schrecklich, er muss Höllenängste ausgestanden haben. Pa feuert eine Schimpfkanonade nach der anderen auf uns ab, bis ausgerechnet Alex dazwischengeht.
»Hey, jetzt ist es aber mal gut.« Er ist wieder so cool wie Sparrow. »Schau dir Ruby doch an! Deine Tochter ist am Ende. Klar, dass sie sich da blödsinnig verhält.« Damit bringt er Pa zum Schweigen.
»Willst du auch einen Saft?«, fragt Alex, und als Pa nur nickt, macht er sich daran, die silbern schimmernde Saftpresse erneut zu beladen.
Dann sitzen wir alle drei eine Weile stumm da. In meinem Kopf rast alles durcheinander. Alex hat dieses @-Zeichen um den Hals. Johns Bruder Kimoni hat eine ähnliche Kette in der Hand gehabt und jetzt ist er tot. Lina wiederum hat das Zeichen von ihrem Tisch weggekratzt und sie ist auch tot.
Und John, der helfen könnte, Licht ins Dunkel zu bringen, wartet am Spielplatz auf mich, und ich kann hier nicht weg.
Schenk.
Ich betrachte Alex. Kann er Linas Mörder sein? Aber was genau ist sein Motiv?
Es klingelt an der Tür. Wir sehen uns an.
»Erwartet ihr jemanden?«, fragt Pa. »Ich denke, Ruby sollte sich jetzt ausruhen. Genug Wahnsinn für heute.«
Alex ist schon zur Tür gegangen und ich kann hören, wer dort ist. Gretchen.
Sie stürmt an Alex vorbei zu mir und bleibt dann wie angewurzelt stehen, als sie mein Gesicht sieht. »Oh mein Gott, du siehst ja fürchterlich aus. Gleich als Alex mich angerufen hat, bin ich hierhergekommen. Ich mache mir solche Vorwürfe, dass ich dich nicht zur U-Bahn begleitet habe! In diesem Viertel wimmelt es nur so von Chaoten.«
Dann erst bemerkt sie Pa, den sie artig begrüßt, und entschuldigt sich fürs Reinplatzen.
Gretchens unglaubliche Energie scheint meine völlig aufzusaugen, denn ich fühle ich mich schlagartig mutlos. Die ganze Wohnung ist voller Menschen, wie soll ich hier jemals herauskommen und John treffen?
»Gretchen, es ist total lieb von dir, mich zu besuchen, aber ich glaube, ich muss mich jetzt hinlegen. Mir geht es nicht so gut.«
Was nicht mal gelogen ist. Die Lösung ist fast schon greifbar, aber ich kann einfach nicht denken bei den vielen Leuten um mich herum!
»Sehr vernünftig!« Pa wirkt erleichtert.
Doch Gretchen lässt sich nicht so leicht abwimmeln. »Manchmal hilft es, wenn man über alles spricht. Und vielleicht möchtest du dich – bei all den Männern hier – lieber mit einer Frau unterhalten?«
Sie wirft mir einen flehenden Blick zu, als ob sie mir irgendetwas Wichtiges sagen muss, etwas, das die anderen nicht wissen sollen, und das bringt mich zum Zögern.
Aber Pa hat genug gehört. Er sorgt dafür, dass Gretchen und Alex die Wohnung verlassen. Aber leider lässt er mich nicht allein, sondern telefoniert, nachdem er mich ins Bett verfrachtet hat, erst mit Mam und sagt danach alle Termine ab.
Gerade als ich überlege, was ich für eine Ausrede erfinden kann, dass er mich wenigstens fünf Minuten allein weglässt, kommt er in mein Zimmer und nimmt meine Hand. »Ruby, ich war heute Morgen noch absolut dagegen, dass wir dich in eine Klinik bringen, wo du das alles in Ruhe verarbeiten kannst. Aber nach diesem Vormittag denke ich, dass Oliver recht hat. Wir wollen nicht noch eine Tochter verlieren. Wir können nicht die ganze Zeit neben deinem Bett sitzen und dich bewachen. Deshalb halte ich
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