Dann gute Nacht Marie
Natürlich nicht. Waren
sie doch genauso frei erfunden wie die ganze zusammen verbrachte Nacht.
»Ich traute meinen Augen nicht, als er mit den Socken an den Füßen in mein Bett stieg und von dort aus das Licht löschte.« Sie baute in ihre Beschreibung alle abstoßenden Vorstellungen ein, bei denen jede andere Frau ihre Aversionen teilen würde. Vielleicht sollte sie sogar dafür sorgen, dass dieses Tagebuch nach ihrem Ableben in ihrem Büro gefunden wurde. Und zwar nicht von Olaf Schmidt.
Marie krönte ihre Schilderungen der optischen und geschmacklichen Unzulänglichkeiten Schmidts mit einem für ihren Chef äußerst delikaten Ende der Geschichte: »Nach einem ebenso kurzen wie unbefriedigenden Vorspiel warf der gute Olaf noch vor dem Abschuss seine durchaus nicht mehr standfeste Flinte ins Korn. Von dieser Nacht hatte ich mir bei aller Trunkenheit ehrlich gesagt mehr erwartet.« Damit war Schmidts Imageverlust in der Firma besiegelt. Würde er die Geschichte, darauf angesprochen, bestreiten, so musste das den Eindruck erwecken, sein damaliger Potenzmangel sei ihm peinlich. Unangenehme Zwickmühle für Schmidt, Triumph auf der ganzen Linie für Marie.
Damit war das vorletzte der Tagebücher komplett »fundfertig« gemacht. SPEICHERN. Das letzte musste bis zum nächsten Tag warten. Schließlich war auch die Recherche zum Projekt »Lebensende« noch längst nicht abgeschlossen, sondern gestaltete sich weiterhin mühsam. Eine Kanne Tee und etliche Suchmaschinen-Eingaben später wusste Marie immerhin besser, was sie nicht wollte.
»Schon der Verzehr eines einzigen Knollenblätterpilzes kann tödlich sein.« Wie langweilig. Der war nun wirklich
nicht so selten und auch zudem umsonst zu haben, also ungeeignet. VERWERFEN.
Danach fand sie den »Blauen Eisenhut«, der wohl eine der giftigsten Pflanzen Europas war und dessen Alkaloid Aconitin laut Internetseite schon in der Dosis von fünf Milligramm tödlich wirkte. Ebenso wie das Gift Taxin in den Nadeln der Eibe. Nicht sonderlich exotisch, die heimische Giftpflanzenwelt. »Sie hat sich mit Eibe vergiftet …« - diese potenziell-posthume Aussage hielt Maries strenger Prüfung nicht stand.
»Sehr gefährlich sind die Bisse von Kobra, Klapperschlange oder Mamba, die Menschen töten können. Diese Giftschlangen beißen aber nur, wenn sie sich bedroht fühlen.« Schade eigentlich. ÜBERSPRINGEN.
Dass jährlich weltweit eintausendzweihundert Menschen am Stich eines Skorpions starben, klang schon sehr verheißungsvoll. Dass das Nervengift allerdings erst nach einigen Stunden zu Atemlähmung und Herzstillstand führte, weniger. So lange wollte Marie nun wirklich nicht warten müssen. Und auch die Symptome wie Schweißausbrüche, Schaum vor dem Mund, starke Muskelkrämpfe und Pulsrasen waren vermutlich nicht unbedingt der geeignete Weg zur posthumen Schönheit.
»Das Petermännchen ist ein Giftfisch mit Stacheln, dessen Stiche zu bleibenden Herz- und Kreislaufschäden führen können.« Das war ja nun auf keinen Fall der Sinn der Sache. ABBRECHEN.
»Gegenmaßnahmen bei Vergiftungen«? Einige dieser Internetseiten waren wirklich extrem kontraproduktiv. VERWERFEN.
Dass das Insektizid DDT in Europa verboten war, hörte sich zunächst ärgerlich an. Doch da es in der Dritten
Welt vor allem zur Eindämmung der Malariamücke eingesetzt wurde, kam es sowieso nicht in Frage. Mit der wollte sich Marie nicht mal im Tod auf eine Stufe stellen, auch wenn »Vergiftung durch DDT« extrem spektakulär geklungen hätte.
Marie hatte nicht gedacht, dass eine anständige Vergiftung derartig kompliziert werden konnte. Und es sollte noch schlimmer kommen, denn sie stieß auf folgende Information: »Außerdem ist zu beachten, dass das Ausmaß der Wirkung immer von der Giftdosis, der körperlichen Verfassung und manchmal auch von den Genen des Vergifteten abhängen kann. Die Beschreibung der Toxizität ist eine grobe Einteilung über den Grad von Vergiftungen (eine übliche Dosis betreffend).« Man konnte sich also nur bedingt auf bestimmte Angaben verlassen, was die Recherche noch weiter erschweren würde. Mit einem baldigen Abschluss der Aktion war also auch in diesem Punkt vorerst nicht zu rechnen. ZWISCHENABLAGE.
Die Liste der Giftpflanzen Europas brachte Marie auch nicht entscheidend weiter. »Brechnuss« klang zu unappetitlich, »Engelstrompete« zu bekannt, »Eisenhut« zu einfach und »Hundspetersilie« zu ordinär. Schließlich ging es hier nicht um das Kräuterbeet einer
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