Dann gute Nacht Marie
das mit am schwersten nachweisbare Toxikum, das derzeit bekannt ist.« Schön und gut. Aber war es das, was sie wollte? Hatte sie wirklich nächtelang mit akribischer Sorgfalt recherchiert und auf höchstem Niveau aussortiert, damit am Ende niemand erfahren würde, woran sie gestorben war? Natürlich, ihre Ansprüche waren immens, aber wenn man sich schon die Umstände seiner Geburt nicht selbst aussuchen konnte, so sollte man es wenigstens im Falle des eigenen Todes tun. Das war eine durchaus nachvollziehbare Argumentation, fand Marie. SPEICHERN.
Von ihren eigenen Einwänden genervt, vertagte Marie die Giftauswahl erst einmal auf einen unbestimmten späteren Zeitpunkt und widmete sich einem weiteren Problem. Denn selbst, wenn sie sich für eine Substanz
entschieden hatte, so war damit die Frage seines Erwerbs ja noch nicht geklärt. Man konnte schließlich nicht einfach in ein Kaufhaus marschieren und um eine Portion Gift zum Mitnehmen ersuchen. WEITER. Auch für die Recherche in dieser Frage schien Marie das Internet die einzig richtige Adresse zu sein. Wo sonst konnte man in möglichst großer Anonymität doch so viel erreichen?
Trotzdem hatten die Erfahrungen der letzten Tage deutlich gezeigt, dass auch dieser Weg eher eng und steinig und vor allem mit enormem Zeitaufwand verbunden war. Denn bei allen schier unerschöpflichen Möglichkeiten des Mediums war es doch komplizierter als erwartet, unter den unendlich vielen Angeboten das richtige herauszufinden. UNTERSTREICHEN. Zum Glück war auch die Lebenszensur noch nicht an ihr erfolgreiches Ende gekommen, sodass voraussichtlich ein paar weitere Tage für die Giftrecherche und -akquisition zur Verfügung standen. Also genug über Widrigkeiten gejammert und an die Arbeit!
Auch jetzt mussten wieder sämtliche Internet-Suchmaschinen ihren Dienst aufnehmen. Marie recherchierte zu den Stichworten »Apotheke«, »Pharmazie« und »Medikamente«. Doch da sie weder Studentin der Pharmazie war noch werden wollte, waren die zahlreichen Seiten der Pharmazie-Institute der verschiedenen Universitäten Deutschlands, die der Computer zu diesem Thema ausspuckte, wenig hilfreich. Es hatte wohl kaum einen Sinn, ein Studium zu beginnen, nur um sich das Leben zu nehmen. Das musste auch einfacher gehen. Ein Studium pro Leben war mehr als genug, fand Marie.
Als sie die Homepage der pharmazeutischen Fakultät der Uni Bonn gerade schließen wollte, fiel Maries Blick
zufällig auf die Ankündigung einer Vorlesung, die für Studenten des Hauptstudiums angeboten wurde: »Gifte - Zusammensetzung und Wirkung«. Warum sollte sie nicht auch auf diesem Weg Antworten auf ihre Fragen bekommen können? Irgendeine Veranstaltung dieser Art würde doch vermutlich auch die Universität München anbieten. Dann bräuchte sie nur noch dort aufzutauchen, die relevanten Informationen mitzuschreiben und für ihre Zwecke auszuwerten. Nun gut, das war nicht mehr die absolute Anonymität, die sie sich vorgestellt hatte, aber im unübersichtlichen Massenbetrieb der heutigen Hochschulen würde sicher niemand ausgerechnet auf sie aufmerksam werden. WEITER.
Natürlich wusste Marie, dass auch die Recherche an einer Universität nicht nur geradlinig und problemlos verlaufen würde. Schließlich hatte sie lange genug an einer ebensolchen studiert. Doch in ihrer neu gewonnenen Euphorie wollte sie darüber nicht länger nachdenken. Zum ersten Mal in den letzten Stunden hatte sie wieder das Gefühl, bei der Planung ihres Lebensendes nicht nur auf der Stelle zu treten, sondern ein gutes Stück weitergekommen zu sein. WWW.UNI-MUENCHEN.DE . ENTER. Voller Tatendrang rief Marie die Seite der LMU München auf ihrem Computer auf und gelangte schnell zur »Fakultät Chemie und Pharmazie«. Schon das äußerst komplexe Vorlesungsverzeichnis setzte ihre Geduld wieder auf eine harte Probe. Zu ihrer Enttäuschung gab es im kommenden Semester keine Vorlesung, deren Titel (jedenfalls für Laien) einen Zusammenhang mit dem Thema Gift hätte erkennen lassen.
Bei genauerem Studium der aufgeführten Veranstaltungen fand Marie jedoch ein Seminar mit dem Titel
»Gefahren und Chancen durch Gift - Eine Bestandsaufnahme«. Leider konnte man sich hier nicht einfach unangemeldet in den Hörsaal setzen und einem Vortrag lauschen. In Seminaren galten andere, für Marie jetzt äußerst ungünstige Regeln: Man musste sich namentlich anmelden, regelmäßig erscheinen, in den Stunden mitarbeiten und am Ende eine Seminararbeit abgeben. Und noch
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