Dann gute Nacht Marie
inzwischen Übung.
»Aha, und da wolltest du nebenbei gleich mal abchecken, was wir so zu Hause stehen haben, damit du uns nichts doppelt schenkst?« Ausreden waren wohl doch nicht so ihre Spezialität. Wie konnte es bei ihr nur immer zu derartigen Missverständnissen kommen? War denn ein ganzer Fettnäpfchen-Parcours für sie allein aufgestellt worden? Nun ja, wenn die Kolleginnen merkten, dass sie von Marie keine Bücher zu Weihnachten geschenkt bekamen, war sie ohnehin schon lange nicht mehr unter den Lebenden und deshalb eindeutig aus der Nummer raus. Außerdem konnte sie ihnen die neu erworbene Literatur immer noch in ihrem Testament vermachen. Keine schlechte Idee. Also zuckte sie nur vielsagend lächelnd mit den Schultern und schwieg.
Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass ihr wieder einmal die Hilfsbereitschaft der anderen einen Strich durch die Rechnung machte, denn Moni meinte jetzt: »Du, ich hab daheim noch irgend so eine Rosamunde-Pilcher-Schnulze, die ich nie gelesen hab. Die bring ich dir morgen mit. Kriegst du umsonst. Wenn du heuer so viele Leute beschenken musst …« Na, vielen Dank auch. ZURÜCK? DIESE SEITE IST NICHT MEHR GÜLTIG. Wenn die als so nützlich empfundene Marktanalyse nur dazu führte, dass ihr posthumes Bücherregal mit zusätzlichen »Karteileichen« gefüllt wurde, war dieser Schuss offensichtlich nach hinten losgegangen. Im Zusammenhang mit ihrem Lebensende ein durchaus gelungenes Wortspiel,
fand Marie. HERVORHEBEN. Nachdem jedoch noch einige gut zu verwendende Vorschläge wie »Die Asche meiner Mutter«, »Wüstenblume«, »Drachenläufer« und »Zusammen ist man weniger allein« auf ihrer Papierserviette verewigt worden waren, stellte sich ihre Zufriedenheit wieder ein.
Und immerhin: Sie hatte sich bei dem gestrigen Streit mit Schmidt in der Firma offensichtlich den Ruf einer Art Rebellin erworben. War das auch in keinster Weise ihr Ziel gewesen - Ziele hatte man so kurz vor Lebensende sowieso sinnvollerweise keine mehr -, so fühlte es sich doch nicht schlecht an. Zumindest für die letzten Lebenstage. SPEICHERN.
»Schreib doch noch schnell ›Lila, Lila‹ von Martin Suter auf, und ›Skorpione im eigenen Saft‹ von Juan Bas. Die hab ich auch gerne gelesen«, meinte Moni noch, als sie schon aufgestanden waren. Dann war es aber auch genug. Schließlich wollte Marie nicht ihre gesamten Ersparnisse in die Aufstockung ihres Bücherbestandes stecken. Trotzdem entschloss sie sich auf dem abendlichen Heimweg, selbige sofort in Angriff zu nehmen, und steuerte zielstrebig eine kleine Buchhandlung an, die auf ihrem Weg von der U-Bahn-Haltestelle zur Wohnung lag.
Die Verkäuferin kam mit einem freundlichen: »Kann ich Ihnen helfen?«, auf sie zu und wartete geduldig, bis Marie die ziemlich verknitterte Stoffserviette aus ihrer Hosentasche hervorgezogen hatte. Für einen kurzen Moment wich ihr hilfsbereites Lächeln dem Ausdruck der Verwunderung, doch dann hatte sie sich wieder vollkommen im Griff. Sie holte bereitwillig die von der offenbar gut vorbereiteten Kundin vorgetragenen Buchtitel aus den Regalen oder von den Tischen und stapelte
sie vor ihr auf dem Tresen. »Den Glattauer habe ich leider grade nicht da, und ›Skorpione im eigenen Saft‹ müsste ich Ihnen ebenfalls bestellen. Bis übermorgen Mittag wären die aber da«, versprach sie und holte schon eilfertig einen Bestellzettel unter dem Tisch hervor. Marie allerdings hatte beim Anblick des Stapels bereits entschieden, dass fünfzehn neu gekaufte Bücher auch ein recht ansehnlicher Haufen waren. Also lehnte sie dankend ab, bezahlte die vorhandenen Titel und schleppte anschließend zwei volle Tüten nach Hause.
Dort entrümpelte sie das Bücherregal innerhalb kürzester Zeit nach mehr oder weniger eigenen Kriterien. Die Klassiker blieben, wie vorgesehen, seichte Unterhaltungsliteratur flog zum Großteil raus. LÖSCHEN. Danach entfernte sie sorgfältig alle Aufkleber von ihren neuen Errungenschaften und stellte sie zu den verbliebenen Büchern ins Regal. Dabei fiel ihr auf, dass sie im Vergleich zu den alten sehr neu und vor allem extrem ungelesen wirkten. Also nahm sie sie nacheinander wieder heraus, um sie entsprechend zu bearbeiten. Sie verbog Umschlag und Buchrücken, versah einige Seiten mit Eselsohren und zog die Kanten über den Fußboden, um sie abgegriffener erscheinen zu lassen.
Kasimir gewann dabei offensichtlich den Eindruck, sein Frauchen habe ein neues Spiel erfunden. Er sprang mit freudigem Miau hinter
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