Dann gute Nacht Marie
Weise fachkompetente Umwelt interessant erscheinen zu lassen. DATEI VERSCHIEBEN. Außerdem hatte sie für diese Schriften die besten Noten ihrer gesamten Studienzeit bekommen, was leider aus den Computerdateien allein nicht ersichtlich wurde.
Doch auch hier wusste Marie sich zu helfen. Sie suchte und fand einen Karton mit alten Studienunterlagen, in dem zuoberst ihr Studienbuch mit allen eingehefteten Scheinen lag. Und tatsächlich: für »Künstliche Intelligenz« hatte sie eine Eins minus und für »Lernen mit mobilen Robotern« eine Zwei plus bekommen. Sie deponierte die unscheinbaren Dokumente in ihrer Ablage auf
dem Schreibtisch, wo man sie nicht übersehen konnte. Den Rest des Studienbuchs vergrub sie ganz unten in besagtem Uni-Karton. SCHLIESSEN.
Des Weiteren entstand im Ordner »Studium« noch ein neuer Unterordner »Tutorium«, in dem Marie verschiedene Dateien mit Übersichten und Arbeitsblättern speicherte. Zwar hatte sie nie ein Tutorium zum Thema »Wissensbasierte Systeme« oder »Computergrafik« gegeben, es konnte jedoch ihrem posthumen Image nicht schaden, wenn der eine oder andere es glaubte. Die Abschlussarbeit mit dem Titel »Kryptographische Verfahren« musste leider rückstandslos von der Festplatte weichen. WOLLEN SIE DAS DOKUMENT WIRKLICH IN DEN PAPIERKORB VERSCHIEBEN? JA. ENTER. Schließlich hatte die überaus schlechte Benotung derselben sie den angestrebten Zweier-Schnitt gekostet. ENTER. Um etliche Dateien schlanker und einige Megabytes leichter präsentierte sich der Studiumsordner nunmehr so ansprechend, dass sich Marie einigermaßen zufrieden ans Ausmisten des nächsten machte.
Der war überschrieben mit dem vielsagenden Titel »Fotos« und sollte diesen auch behalten dürfen. Wenn Marie auch in den letzten Jahren nicht gerade viel Zeit in ihr Hobby hatte investieren können, so fanden sich hier doch ein paar ganz nette Aufnahmen der verschiedensten Art. In einer besonders ambitionierten Phase hatte sie sogar einmal einige gelungene Dias und Papierbilder aus vergangenen Zeiten digitalisiert. ÖFFNEN. »Gar nicht mal so schlecht«, entfuhr es Marie beim Durchsehen dieser Fotos. Kasimir hob erstaunt den Kopf und maunzte fragend, als überraschte auch ihn diese einigermaßen neue Erkenntnis. Er trottete einmal quer durchs Zimmer, um sich neben Marie vor dem Computer niederzulassen
und neugierig mit auf den Bildschirm zu linsen. Besonders schien ihm die Aufnahme eines kleinen Vögelchens zu gefallen, das sie einmal in einer Wasserpfütze fotografiert hatte. Ob es seinen Beschützerinstinkt oder seinen Jagdtrieb weckte, ließ er vorsichtshalber nicht erkennen. SCHLIESSEN.
Zunehmend angetan öffnete Marie nacheinander die gespeicherten Fotos, löschte einige, benannte andere um, sortierte neu. Manche der Aufnahmen veranlassten sie schließlich, ihr Fotobearbeitungsprogramm zu öffnen und ein paar Stellen noch einmal zu verbessern. Mit wenigen Arbeitsschritten wurden die meisten von ihnen noch einmal um Längen besser. Das Ergebnis begeisterte Marie so, dass sie einen neuen Unterordner ins Leben rief: »Ausstellung«. Wusste doch keiner, dass sie sich zwar immer gewünscht hatte, eine eigene Fotoausstellung mit ihren Werken zu gestalten, jedoch nie den Mut dazu gehabt hatte. Um das Ganze zu untermauern, ging sie noch einen Schritt weiter: »Ausstellung 2003«. Das war nicht zu nah, sodass es jeder hätte mitbekommen müssen, und nicht zu fern, um unwahrscheinlich zu klingen. Wer machte schon mit sechzehn eine eigene Fotoausstellung? OK.
Wie man jetzt deutlich erkennen konnte, hatte Marie 2003 in ihrer Ausstellung in der Hauptsache Natur- und Architekturaufnahmen zum Besten gegeben. In ihrer Euphorie begann sie nun auch noch, die einzelnen Fotos mit sinnigen Titeln zu versehen, und lachte dabei ein paar Mal so unvermittelt, dass Kasimir wieder einmal am Verstand seines Frauchens zu zweifeln schien. Das hätte er allerdings auch, wenn er die neuen Dateinamen hätte lesen können: »Wiese im Nebel«, »Sommerabend«, »Blütensymphonie«, »Vergänglichkeit« (wie passend) und -
jetzt erst recht - »Villa M«. SPEICHERN. Der Erfolg der Ausstellung war damit zumindest virtuell bei ihrer Nachwelt gesichert. Vorrangig posthumer Ruhm war schließlich auch schon einigen Künstlern vor ihr beschert gewesen und somit keineswegs ehrenrührig, fand Marie. Künstlerpech. Sozusagen.
Der letzte Ordner mit dem originellen Titel »privat« enthielt von amtlichen und persönlichen Briefen über
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