Dann gute Nacht Marie
dass es ihr aus der Hand glitt. Es flog nach vorne und landete mit der Klinge im Holz der Arbeitsplatte, nur knapp neben Marie, die sich gerade vorgebeugt hatte, um die bereits zerkleinerten Zucchinistücke vom Schneidebrett in die Pfanne zu befördern. Jetzt zuckte sie zurück und hielt sich schützend beide Arme vor den Körper. Im ersten Moment war sie nicht ganz sicher, ob sie nicht doch von der scharfen Klinge verletzt worden war.
»Oh mein Gott, hab ich dich erwischt? Lass mal sehen! Blutest du?« Alma war genauso erschrocken wie Marie, deren Arme und Oberkörper sie jetzt genauestens nach Schnitten oder Blutspuren untersuchte.
»Das war wirklich knapp«, stellte sie kurz darauf erleichtert fest. »Ich darf mich einfach nicht immer so aufregen. Was da alles passieren kann!« Vielleicht war mit dieser Erkenntnis ja auch dem Fall Kasimir erst einmal die Schärfe genommen, wagte Marie zu hoffen.
»Du setzt dich jetzt mit deinem Wein rüber und entspannst dich. Ich bring dann das Essen, wenn ich fertig bin«, erklärte Alma in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Und Marie fügte sich. Ganz unbeeindruckt hatte sie Almas »Ausrutscher« nicht gelassen. Schließlich hätten wirklich sehr unappetitliche Dinge mit ihr passieren können, wäre das Messer nur ein paar Zentimeter weiter rechts gelandet. GEHE ZU … Auf der Couch kam Marie plötzlich der Gedanke, ob der eigentlich unbedeutende Messerunfall vielleicht ein Wink des Schicksals gewesen sein konnte. Romeos Julia hatte sich schließlich auch mit einem Dolch äußerst effektvoll getötet. Kein schlechtes Vorbild. Allerdings war in diesem Fall weder körperliche Unversehrtheit und damit Schönheit noch entsprechende Vorzeigbarkeit ihrer Wohnung gewährleistet. Also verwarf sie diese Idee sofort wieder und blieb beim Gift, das ja immerhin auch seine Parallele in Shakespeares Tragödie fand.
Nach dem Essen war Alma nicht davon abzubringen, die Aktion »Wohnrecht für Kasimir« gleich noch vor Ort in Angriff zu nehmen. Marie musste ihren Ordner mit den verschiedensten Dokumenten herausholen, um dem hilfsbereiten Anwalt möglichst viel Einblick in einen nicht existenten Fall zu geben. Zum Glück fand sich im Mietvertrag, den sie natürlich vorher nicht angesehen hatte, tatsächlich keine Klausel zur Haltung
von Haustieren in der Wohnung. Das hielt Alma aber keineswegs davon ab, eine ausführliche Daten- und Faktensammlung für den, wie sie meinte, wohl unabänderlichen Rechtsstreit zu erstellen. Sie durchblätterte Ordner, notierte Zahlen und sortierte Belege, die als Beweis für Maries langjährig untadelige Mieterschaft dienen sollten. ZWISCHENABLAGE.
Während Alma unbeirrt in den Unterlagen kramte und immer wieder scheinbar wichtige Details für die zu erstellende Argumentation zutage förderte, war Marie im Gegensatz dazu in Gedanken bei der notwendigen Abwendung der ganzen Aktion. RÜCKGÄNGIG. Wie konnte sie Alma von dem immer konkreteren Plan, für Kasimir eine Daseinberechtigung zu erstreiten, dauerhaft abbringen? Immerhin musste sie damit rechnen, dass ihr Leben noch mindestens einige Wochen andauern würde, denn die ausführliche Recherche bei dem freundlichen Herrn Maibach umfasste sicher mehr als nur eine seiner wöchentlich stattfindenden Seminarsitzungen. Bis dahin konnte die Freundin mit ihrer von immensem Gerechtigkeitssinn genährten Energie den völlig unschuldigen Vermieter hinter Gitter gebracht haben. RÜCKGÄNGIG. RÜCKGÄNGIG.
»Hey, wer war denn David? Von dem hast du mir ja nie erzählt.« Alma hatte bei ihren gründlichen Materialrecherchen das liebevoll hergestellte Fotoalbum in die Finger bekommen. Nun betrachtete sie interessiert das mit der so vielsagenden Bildunterschrift versehene Foto des großen Unbekannten. Und schon wieder befand sich Marie in Erklärungsnot. Die als so nützlich begonnene Lebenszensur wurde langsam zum Problem. ÜBERSPRINGEN. »Scheint ja eine ganz heiße Affäre gewesen zu sein.«
»Na ja, war leider nur kurz. Dann musste er zum Bund.« Etwas Sinnigeres fiel Marie auf die Schnelle nicht ein. Wie platt: die Trennung der Liebenden durch Befehl an die Front. RÜCKGÄNGIG. »Ach, nein, das war … ach, das ist alles schon so lange her …«
Zum Glück war Alma an dieser Stelle einfühlsam genug, nicht weiter zu fragen. Auch wenn sie den Grund für Maries ausweichende Antwort wohl kaum erahnen konnte.
An diesem Abend ging Marie mit dem Gefühl ins Bett, dass ihre so gut durchorganisierte
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