"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)
Virus eingefangen haben.« Und natürlich der Klassiker: »Ich habe schon was gegessen.« Wenn es gar nicht anders ging, bestellte ich mir einen Fisch mit Gemüse. Und ich musste nach wenigen Bissen erklären: »Fisch und Gemüse sind leider verkocht. Another Diet-Coke, please.«
Ich ahnte: Jan glaubte mir kein Wort. Mein Freund Volki, mein Gastgeber samt Familie, schon lange nicht mehr. Keiner glaubte mir mehr ein Wort. Man brauchte mich nur anzusehen. Und so begann die groteske Zeit, in der es in Südafrika immer wärmer wurde, die Frühjahrssonne dieses unfassbar schöne Land beleuchtete und mir immer kälter wurde. Ich lag nachts mit zwei Decken im Bett. Im südafrikanischen Frühsommer.
Ich wurde tatsächlich von Tag zu Tag dünner. Mein Nervenkostüm auch. Mit jedem Gramm weniger wurde ich sonderbarer. Doch noch gab mich mein Umfeld nicht auf. »So einer wie Christian hat doch noch alle Sinne zusammen, und er ist ja auch schon groß. Das ist sicher nur eine Phase, der schafft das schon«, hörte ich sie denken. Denkste. Auf den Fotos von dieser Reise wirke ich aber noch nicht so krank, weil meine magere Gestalt von gesunder Bräune überzogen war – und weil ich dem Ganzen tatsächlich noch so etwas wie Lust abgewinnen konnte. Meine sichtbaren Erfolge waren meine Etappensiege, mein Gelbes Trikot war die straff gespannte goldbraune Haut über gut sichtbaren Knochen. Ich flog die Berge hinauf und lief lange Etappen – aber meine Tour war noch unüberschaubar lang. Ich wollte fortan nur noch siegen.
Ja, so wollte ich leben.
Ein letztes Mahl
Von welchem Essen ein Magersüchtiger träumt –
und wovon sonst
Wie aber setzte ich es zu Hause um, dieses neue leichte Leben selfmade in South Africa? Ich kehrte zurück aus dem Sommer am Kap in den Winter im Taunus. Es galt den Mangel ebenso zu kultivieren wie den sportlichen Aktionismus zu konservieren. Schon Tage vor dem Rückflug hämmerte nur noch diese eine Frage im Kopf. Nach dem Einchecken machte ich Pläne, bekritzelte alles, was mir in die Finger kam: Servietten, Speise- und Postkarten, ordinäre Notizzettel und Post-its. Ich tippte Tagesabläufe ins iPhone, auf dass sie nach der Landung synchronisiert werden würden auf all diese technischen Geräte, die im Überfluss zu Hause auf Datenfutter warteten, und selbst sie hatten irgendwie mit Obst zu tun.
Viel drehte sich um Zeit und Essen, Kalorien und Arbeiten. Rein gar nichts stand da von Leben, Lieben, Genießen. Ich notierte, kaum im Flugzeugsessel Platz genommen, was ich alles zu tun, und vor allem, was ich tunlichst zu lassen hatte. Panik kam auf. Wie sollte das gehen? Wann sollte ich laufen, wann fahren und wie lange? Ich musste mir neue Tagesabläufe ausdenken, sie lernen und automatisieren. Bloß nicht nachdenken müssen. Alles muss seine Zeit haben, alles selbstverständlich sein. Mögliche Rituale wurden ersonnen und verworfen. Ich hatte dazu gut elf Stunden Zeit. Die Zeit zwischen Kapstadt und Frankfurt/Main verging tatsächlich wie im Flug. Meine Gedanken kreisten ums Essenvermeiden, und wir überflogen die Sahel-Zone. Schlechtes Gewissen? Kein bisschen.
Ich brauche nicht zu erwähnen, dass ich das Flugzeugmenü verschmähte. Dafür lechzte ich danach, endlich nach Hause zu kommen. Dort, wo meine Rolle stand. Jenes kleine geniale Gerät, das es mir erlaubte, mein Rad auch in der Wohnung zu traktieren. Noch ehe ich den Koffer auspackte, fummelte ich das weiße T-Mobile-Bike aus der Schutztasche, montierte es auf den Ständer, warf mich in die Radklamotte und strampelte los. Von nun an ging es steil bergab. Abfahrt in den Abgrund. Seitdem verging kein Tag mehr, an dem ich nicht auf dem Rad hockte, Treppen und Dauer lief, irgendwelche Verrenkungen machte. Alles wurde schwerer, nur die Hanteln, die ich benutzte, sie wurden leichter. Die Kraft begann zu schwinden.
Ich hatte wieder einmal die Rechnung ohne meine eigene Borniertheit gemacht. Oder sollte ich es positiver formulieren? Ohne meine verdammte, einer Sturheit nicht unähnlichen Disziplin? Ich aß weniger, ich sparte an allen Eckchen und Endchen, Tag für Tag mehr. Ich perfektionierte das Vermeiden der Kalorienzufuhr. Alles wurde mit mikroskopischer Akribie untersucht, gewogen und für viel zu schwer befunden. 30 Gramm Müsli? Zehn genügen. Und so wurde aus Quark Magerquark, aus Erbsen und Karotten Chinakohl und Salatgurke, aus Fruchtschorle süßstoffgesüßter Tee oder heiße Zitrone. Ich hatte immer neue Ideen, wie und wo noch etwas
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