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Dann klappt's auch mit dem Doktor

Dann klappt's auch mit dem Doktor

Titel: Dann klappt's auch mit dem Doktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Lenz
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Vorstellung am fünfundzwanzigsten achten …«
    Ich fahre fort: »Diagnosen: Adipositas, aggressive Verhaltensstörung, Hypercholesterinämie …«
    Â»Diagnosen – Adipositas, Störung des Sozialverhaltens …«, poltert Nils.
    Â»â€¦ Störung des Sozialverhaltens …«, murmele ich.
    Mist, das hat doch Denner gerade diktiert. Jetzt fange ich schon an, ihm alles nachzuquatschen. Sein Verhalten macht mich wahnsinnig. Ich kann mir ja schlecht beide Ohren zuhalten. Da fällt mir eine Lösung ein: Ohrstöpsel. Gut, dass ich davon immer ein paar in meiner Handtasche habe. Schnell stopfe ich mir die gelben Schaumstoffstöpsel in beide Ohren. Jetzt ist Nils schön leise. Meine Stimme hört sich auch seltsam gedämpft an, dafür ist mein Atem wahnsinnig laut.
    Â»Die ausführliche Anamnese dürfen wir freundlicherweise als bekannt voraussetzen und verweisen hierfür auf …«, spreche ich nun ebenfalls ziemlich laut in mein Diktiergerät.
    Ich kann meine Stimme nicht mehr richtig einschätzen.
    Denner wird noch lauter: »Die Anamnese ist Ihnen bekannt, für unsere Unterlagen fassen wir …«
    Ich nehme einen Ohrstöpsel heraus, um mir meinen zuletzt diktierten Satz anzuhören. Der ist kaum zu verstehen. Das ganze Diktat ist ein Mischmasch aus Denners und meinen Sätzen.
    Â»Ignorieren Sie bitte einfach diese unverschämt laute Stimme aus dem Hintergrund«, diktiere ich weiter. Frau Goldstein kommt herein: »Was ist das denn für ein Lärm? Was ist denn hier los?«
    Â»Nichts«, sagt Nils.
    Â»Wir diktieren Briefe«, antworte ich.
    Frau Goldstein seufzt tief und verlässt das Zimmer. Sie
sieht aus, als hielte sie uns für völlig bescheuert. Vermutlich hat sie recht. Das bringt doch nichts. Ich diktiere lieber ein andermal weiter. So langsam muss ich sowieso in die Notaufnahme. Ich schalte mein fiepsendes Diktiergerät wieder aus und lege die Akte weg. Auch Denner macht eine Pause. Wir sollten uns endlich wieder wie normale Menschen benehmen. Ich drehe mich auf meinem Schreibtischstuhl zu ihm um.
    Â»Vielen Dank noch mal, dass du mir so großartig geholfen hast. Ohne dich hätte ich den Vortrag niemals so gut hinbekommen. Das war wirklich toll von dir.«
    Â»Schon gut.«
    Â»Du wirst nicht glauben, was mir kurz vor dem Abschicken des Vortrages passiert ist. Ich habe aus Versehen Kaffee auf mein Laptop gekippt und …«
    Â»Anna, ich muss arbeiten. Hast du den Vortrag jetzt eingereicht?«
    Â»Ja, und ich habe heute früh die Bestätigungsmail erhalten.«
    Â»Dann ist ja alles in Ordnung. Würdest du bitte …«, er deutet unmissverständlich Richtung Tür.
    Nils scheint einen miserablen Tag zu haben. Mich aus unserem Büro zu werfen ist schon frech.
    Â»Was ist denn eigentlich mit dir los? Kann ich irgendetwas für dich tun?«
    Â»Ja, geh, und lass mich arbeiten.«
    Hinter seinem Rücken ziehe ich die fieseste Grimasse, die ich zustande bringe, stehe auf und gehe.
    Â»Ich kann dein Spiegelbild in meinem Bildschirm sehen«, ruft er mir hinterher.
    Ab neunzehn Uhr beginnt in der Notaufnahme die Polonaise der besoffenen Jugendlichen. Fünf an der Zahl sind es heute. Vollgekotzt und völlig desorientiert werden sie bei uns eingeliefert. Wir ziehen sie um, versorgen sie über eine Infusion mit Flüssigkeit, und sie pinkeln uns die Betten voll. Am nächsten Morgen werden die Eltern ihre saufwütigen Halbstarken frisch ausgeruht und, dank der Infusion, ohne Kater wieder abholen. So habe ich mir meine Arbeit als Kinderärztin nie vorgestellt. Der einen oder anderen Party bin ich ja auch nicht abgeneigt, aber das geht echt zu weit.
    Einen vierzehnjährigen Austauschschüler aus England hat es besonders schlimm erwischt. Er glaubte, seine Männlichkeit mit dem Trinken einer ganzen Flasche Branntwein unter Beweis stellen zu müssen. Jetzt fällt er fast ins Koma. Immer wieder schreie ich ihn an und setze heftige Schmerzreize, um von ihm eine Reaktion zu erhalten. Nach einer halben Stunde öffnet er die Augen und haucht mir mit glasigem Blick seine Fahne entgegen: »You’ve got an annoying voice, fuck off!«
    Das reicht! Und um den Burschen habe ich mir eben noch Sorgen gemacht! Plötzlich piept der Wecker meiner Armbanduhr. Die Parkuhr ist abgelaufen. Ich melde mich bei Schwester Petra kurz ab und renne mit fliegendem Stethoskop zum

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