Dann klappt's auch mit dem Doktor
einmalige Sache war. Ihr seid erwachsene Menschen, die damit umgehen können, oder nicht?«
»Klar, was denn sonst?«
»Dann ist ja gut.«
Till stochert in seiner Pasta herum und wird ungewöhnlich schweigsam. Langsam mache ich mir Sorgen: »Till? Ihr könnt tun und lassen, was ihr wollt, das macht ihr ja sowieso, aber bitte macht unsere Freundschaft nicht kaputt, okay? Das fände ich schrecklich.«
»Was du dir wieder für Gedanken machst. Alles cool.«
Eine Dreiviertelstunde vor Antritt meines Dienstes in der Notaufnahme betrete ich, zugegebenermaÃen ziemlich lustlos, die Moby-Fit -Ambulanz. Es ist ein traumhafter Sommertag, und ich würde lieber an den Badesee fahren, als in der Klinik Spätdienst zu schieben. Nils sitzt an seinem Schreibtisch, auf dem sich schon wieder fünf Teetassen tummeln, und wirkt sehr beschäftigt.
»Hallo, Nils.«
»Hallo, hast du heute nicht Notaufnahmedienst?«
»Ja, ich habe Spätdienst. Ich muss noch ein paar Briefe diktieren und wollte dir die Unterlagen, die du mir für die Auswertung unserer Patientendaten geliehen hast, zurückgeben.«
Nils blickt angestrengt auf seinen Computer.
»Leg sie einfach auf den Stapel.«
Das mache ich, setze mich leise an meinen Schreibtisch, um Nils nicht unnötig zu stören und nehme mir die erste Akte vor. Weiter komme ich erst mal nicht. Das Telefon klingelt. Nils und ich teilen uns einen Apparat. Er hebt ab. Dann reicht er mir den Hörer: »Die Pforte, deine Mutter ist in der Leitung. Mach nicht so lange, ich erwarte einen wichtigen Anruf.«
Mir läuft es kalt den Rücken runter. Meine Mutter ist dabei, in mein letztes eigenes Refugium einzudringen. Die Klinik. Wie konnte das passieren? Stirnrunzelnd nehme ich das Gespräch an: »Hallo?«
»Anna-Isabella-Felicitas!«
Na klasse. Wenn sie mich mit allen Namen, die ihr bei meiner Geburt, nur um mich zu quälen, eingefallen sind, anredet, ist sie sauer. Warum auch immer. Eigentlich findet sie fast immer einen Grund.
»Was gibtâs?«
»Wie kannst du es wagen?!«
»Was?«
»Wie kannst du es wagen, Frau Beier so zu behandeln und mich vor meiner Kegelgruppe so zu blamieren.«
Denner wirft mir einen bösen Blick zu.
»Ich kann jetzt nicht telefonieren. Wir erwarten einen wichtigen Anruf.«
Das ist meiner Mutter egal.
»Wie konntest du nur so mit Frau Beier umgehen, ihr den Fahrradstellplatz wegnehmen und sie dann auch noch vor der Hausverwaltung bloÃstellen?«
»Ich habe nichts von alledem getan und bloÃgestellt hat sie sich selbst.«
»Jetzt lüg mich nicht an.«
Wie schön, dass meine Mutter immer den anderen glaubt. Das war schon im Kindergarten so. Wenn mir einer der Jungs die Sandschaufel klaute, war ich natürlich schuld, und der Bengel bekam von ihr noch ein Bonbon zugesteckt.
»Tu ich nicht.«
»Darüber reden wir später.«
Nur über meine Leiche. Sie lässt nicht locker: »Hast du Spätdienst? Dann rufe ich dich gegen sechs noch mal an.« Schwupps, ich bin eine Leiche â so schnell geht das. Denner räuspert sich.
»Ich muss jetzt wirklich aufhören. Machâs gut. Frau Beier und deine Kegelfreundinnen beruhigen sich schon wieder.«
»Ach, was ich nicht alles ertragen muss! Womit habe ich so etwas verdient?« Ich lege auf.
»Wolltest du Beruf und Privates nicht trennen?«
»Du hättest sie ja gern für mich abwimmeln können.«
»Das ist nicht meine Aufgabe. Abgrenzen musst du dich schon selbst.«
Ich wende mich wieder der Akte zu. Das Diktiergerät piepst kurz schrill, als ich es anschalte, und Nils stöhnt entnervt. So leise wie möglich spreche ich meinen Text in das Gerät.
»Guten Tag, Diktat Plüm, es folgt der Entlassbrief von Marvin Eckert â¦Â«
Hinter mir ertönt ein weiteres schrilles Piepen. Das ist Nilsâ Diktiergerät.
»Fortsetzung des Ambulanzberichtes von Klaus-Ole â¦Â«, brüllt er in den Apparat.
Oh, Mist. So wie der heute drauf ist, bitte ich ihn lieber nicht, seine Briefe erst zu diktieren, wenn ich in der Notaufnahme bin. Ich halte mir das linke Ohr zu, drehe mich so weit wie möglich von Nils weg und diktiere weiter: »Also, es geht um den Entlassbrief von Marvin Eckert, stationärer Aufenthalt vom sechzehnten achten bis zum dreiundzwanzigsten achten â¦Â«
Nils wird immer lauter: »ambulante
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