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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Fehér
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wir am Sonntagvormittag durch den Wald, einem leichten Nieselregen trotzend, mein Vater im grauen Sweater und seinem vom Wind und Regen zerzausten dunklen Haar ist ein ungewohnter Anblick für mich. Mit jedem Kilometer, den wir hinter uns lassen, scheint auch er Ballast abzuwerfen, wirkt lockerer, befreiter als zu Hause, wenn er nach der Arbeit noch den Anzug trägt. Wir haben zu einem gemeinsamen Lauftempo gefunden, ohne übertriebenen sportlichen Ehrgeiz, fallen in gemütlichen Small Talk, die Stimmung zwischen uns ist friedlich wie nie, hin und wieder lachen wir sogar zusammen, er sieht jetzt beinahe so jung aus wie auf unseren alten Urlaubsfotos. Ich stelle mir vor, wie er den nachgiebigen Waldboden unter den Sohlen seiner Laufschuhe fühlt und was ihm dabei durch den Kopf gehen mag, hier draußen, wo er schon ewig nicht mehr gewesen ist, in bequemer Kleidung und ohne an die nächste Verkaufsverhandlung in der Firma denken zu müssen. Diese Seite von Papa muss ich noch einfangen und in meinem Bild von ihm festhalten, erst dann ist es komplett, denke ich und überlege bereits, wie ich ihn zeichnen werde. Vielleicht könnte ich jetzt sogar alles erzählen, von der Fachoberschule, von Delia. Von meiner Fantasie über ein glückliches Leben, in dem ich einfach ausbreche aus dem, was mich einengt und fremdbestimmt. Ich müsste mich nur trauen.
    Â»Die letzten hundert Meter«, verkündet er und deutet nach vorn, tatsächlich sind am Ende des Weges bereits die Häuser zu erkennen. Irgendwo dort steht das Auto. »Sprinten wir die um die Wette?«
    Schon startet er, das ist unfair, weil er mir kein Signal gegeben hat. Aber heute fühle ich mich siegessicher, erreiche ihn mit wenigen Schritten und überhole ihn, und als ich ihn passiert habe, breite ich meine Arme aus wie Adlerschwingen und rufe: »Ich fliiiiiieeegeeee!« So habe ich zwar mehr Luftwiderstand als er, bin aber dennoch reichlich vor ihm am Ziel. Während er sein Tempo auf den letzten Metern verlangsamt und keucht, strecke ich bereits die Hand aus, um seinen Autoschlüssel entgegenzunehmen, doch er scheint es nicht zu bemerken, beugt sich vor und stützt seine Hände auf die Knie, versucht zu einem ruhigen Atem zurückzufinden.
    Â»Mach dir nichts draus«, sage ich und klopfe ihm auf die Schulter. »Für dein Alter hast du super durchgehalten! Machen wir das bald mal wieder?«
    Mein Vater richtet sich wieder auf. Blickt an mir vorbei, zurück auf den Weg, den wir gelaufen sind, dann wieder nach vorn. Er scheint mit sich zu ringen, schwankt zwischen beleidigt sein und wohlwollendem väterlichem Einlenken. Der herbe, enttäuschte Zug um seinen Mund, den ich so gut kenne, schimmert durch sein gewolltes Lächeln, doch dann strafft er seinen Körper, reißt sich zusammen. Er streckt seinen Arm aus und strubbelt mir durch die Haare.
    Â»Solange du dich nicht so albern benimmst wie gerade eben«, meckert er.
    Â»Entschuldige.« Ich lache ein wenig verschüchtert. »Ich bin heute einfach gut drauf, es hat Spaß gemacht mit dir zu joggen. Also was ist?«
    Mein Vater schweigt, ich sehe, wie es in ihm arbeitet. Diese winzige Niederlage gegen mich passt nicht zu seinem Selbstbild. Dann jedoch gibt er sich einen Ruck und sieht mich an.
    Â»Von mir aus gern«, stimmt er zu. »Es ist schon schön, jetzt einen großen Sohn zu haben, mit dem ich mich messen kann. Das nächste Mal gewinne ich gegen dich, verstanden?«
    Â»Das werden wir sehen«, lache ich und denke dabei nicht ans Joggen. Der Augenblick, in dem wir kurz davor waren, eine Art von Nähe miteinander zu haben, ist verstrichen, mit ihm reden kann ich jetzt nicht mehr. Einen großen Sohn haben. Seine Worte hören sich an, als hätte er die Zeit davor kaum mitbekommen.
    Noch lange bevor wir seinen Wagen wirklich erreicht haben, öffnet mein Vater die Türen mit der Fernbedienung des Schlüssels, gleitet kurz darauf in seinen Sitz, während ich neben ihm Platz nehme. Beim ersten Starten knarzt das Getriebe, er nimmt den Fuß vom Kupplungspedal und versucht es erneut, zwingt sich selbst zur Gelassenheit, es gelingt ihm nur schwer, aber schließlich steuert er doch den Wagen aus der Parklücke, gibt mehr Gas, als es nötig gewesen wäre.
    Â»Dann wollen wir mal nach Hause, essen«, äußert er, seine Stimme auf Heiter gestellt. »Und danach, was machst du noch Schönes? Hast

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