Dann mach ich eben Schluss
Herrn Perlitz abgesprochen, dass ich mich zurückstellen lassen kann, wenn ich hier angenommen werde. Natürlich nur, wenn in der Elften noch ein freier Platz ist.«
Die Sekretärin blättert in ihren Unterlagen, scheint meine Bewerbung zu finden, nickt.
»Jetzt erinnere ich mich. Na, dann drücke ich Ihnen die Daumen, dass es klappt! Es gibt zwischendurch immer mal Abgänge, wenn jemand merkt, dass ihm unsere Fachrichtung doch nicht so liegt wie erhofft. Aber wir haben natürlich eine Warteliste. Jetzt gehen Sie erst mal hoch in die zweite Etage. Der groÃe Kunstsaal hat die Raumnummer zweihundertundeins, dort bekommen Sie Ihre Aufgaben und erfahren alles Weitere.«
Den Kunstsaal finde ich schnell, ich muss nur dem Stimmengewirr folgen, das bis ins Erdgeschoss hinunter schallt. Es kommt mir vor, als würden Hunderte von Mitbewerbern im Lichthof bereits darauf warten, dass es endlich losgeht, einige unterhalten sich, scheinen sich bereits zu kennen, andere hocken auf Heizkörpern und Treppenstufen und scheinen noch schnell zu üben. Ganz in sich selbst versunken zeichnen sie in Skizzenbücher und auf Klemmbretter. Ich stelle mich dicht neben die Tür und warte.
Wenig später öffnet sich die Tür des Saales und ein Lehrer in Jeans und schwarzem Rollkragenpullover bittet uns herein. Eilig verteilen wir uns an die Tische, die wie bei einer Klausur weit auseinander stehen. Nach einer BegrüÃung und Erklärung des Ablaufes dürfen wir endlich loslegen. Die erste Aufgabe, das »Zeichnen aus der Wirklichkeit«, soll eine Bleistiftzeichnung von einem Glas mit Wasser werden. Es ist ein achteckiges hohes Glas, wie es oft in Cafés für Latte macchiato verwendet wird; das Licht bricht also an mehreren Stellen. Am liebsten würde ich gleich wieder abhauen. So etwas habe ich bisher kaum jemals versucht zu zeichnen, das bekomme ich nie hin. Zwei Stunden habe ich Zeit, danach ist die nächste Aufgabe dran, bei der wir ein Thema vorgegeben bekommen, dieses aber frei gestalten dürfen. Ich dachte, zwei Stunden wären viel, aber jetzt kann ich unmöglich gleich auf dem guten Zeichenpapier beginnen, das weià und mahnend vor mir liegt, sondern muss erst einmal ein paar Entwürfe in meinen Skizzenblock machen, den ich zum Glück dabeihabe. Nur so kann ich sehen, ob ich überhaupt eine Chance habe, dieses Glas mit seinen Facetten und noch dazu das Wasser darin halbwegs gelungen zu Papier zu bringen. Verstohlen blicke ich zu den Nachbartischen hinüber; die meisten starten sofort und sind bereits nach wenigen Minuten ganz vertieft in ihre Arbeit. Ich nehme meinen Skizzenblock vor und zeichne ein paar Striche, probiere Lichteinfall und Schattierungen aus, so schlecht wird es gar nicht, nur die Perspektive bekomme ich nicht so gut hin, das Glas vor mir steht auf einer Blumensäule, leicht erhöht. Mehrmals muss ich radieren, bei der Arbeit nachher muss ich dies nach Möglichkeit vermeiden, weil es das Papier verdirbt. Zum Glück habe ich meine weichen Bleistifte und einen Radiergummi bester Qualität dabei, wenigstens da bin ich abgesichert.
Ich schaue auf meine Armbanduhr, fast eine halbe Stunde ist bereits vorbei, ich muss anfangen, sonst reicht die Zeit nicht aus. Vorsichtig versuche ich, das, was mir in der Skizze gelungen ist, in der Reinzeichnung noch besser zu machen, arbeite mich Strich für Strich, Lichtpunkt für Lichtpunkt vor. Es wird gut, ich glaube es wird gut. Je länger ich zeichne, desto mehr Spaà finde ich daran, endlich ist es wieder da, dieses Gefühl, beim Zeichnen selbst zu verschwinden und in der Arbeit aufzugehen. Das ist es doch, was ich kann, Zeichnen, ich liebe es doch, genau das ist es, was ich immer wollte und immer noch will. Meine Hand beginnt zu schmerzen, und ich lege den Bleistift kurz hin um sie auszuschütteln, dabei blicke ich mich im Saal um und lasse ihn auf mich wirken. Hier will ich sein. Die Vorstellung, jeden Tag hierher kommen und zeichnen zu dürfen, berauscht mich. Dieser weite, helle Raum, um mich herum nur Leute, die Ãhnliches erreichen wollen wie ich, das bedeutet bestimmt viel Konkurrenz, aber vielleicht auch neue Freundschaften â man wird sehen. Erneut beuge ich mich über mein Blatt. Als die Zeit abgelaufen ist, bin ich mit meinem Ergebnis zufrieden. Es sieht fast aus wie eine Schwarz-WeiÃ-Fotografie eines gefüllten Wasserglases.
Die zweite Aufgabe weckt sofort den
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