Dann mach ich eben Schluss
haben.«
»Es ist alles noch frisch«, weiche ich aus. »Ich hab nur gesagt, Delia fasziniert mich. Ich weià doch auch nicht, ob das was Festes wird. Aber vielleicht geht es mir so gut mit ihr, weil es mal nicht darum geht, was man nach der Schule mal wird, wer die Eltern sind, in welcher Klausur man wie viele Punkte erreicht hat und was man auf der nächsten Party anzieht. Wen man alles kennt, wohin es im nächsten Skiurlaub geht. Golf oder Audi, Malediven oder Seychellen, Microsoft oder Apple. Das ist alles so oberflächlich. Mit Delia rede ich über ganz andere Sachen.«
»Mit einer Gärtnerin? Entschuldige bitte, Max, aber die kann höchstens einen mittleren Schulabschluss haben. Worüber redet ihr?«
Ãber den Tod und das Leben, denke ich und schweige. Noch nie habe ich mit jemandem so tiefe Gespräche führen können wie mit ihr. Ich sehne mich nach ihr, doch ich spüre, wie das, was ich versuche Paul klarzumachen, an ihm abprallt, ich kann es nicht vermitteln, meine Worte verpuffen, noch ehe ich sie ausgesprochen habe. Was ich fühle, erreicht ihn nicht, und mir fehlen die richtigen Worte. Stattdessen ertappe ich mich dabei, wie ich mir Delia an meiner Seite vorstelle, so wie Paul es fantasiert hat, in ihren einfachen, robusten Klamotten, dem Kurzhaarschnitt, ihrer unkomplizierten, zupackenden Art. Mit ihr an meiner Seite wäre ich nicht mehr einer von ihnen, ich wäre drauÃen, hätte zwar Delia, wir hätten einander, und doch wäre ich einsam, wenn auch auf eine andere Art als jetzt. Das ist die, mit der er Annika hintergangen hat, höre ich sie jetzt schon flüstern. Ich müsste mich entscheiden: meine alte Clique mit Paul und Annika, Johanna, daneben noch Leute wie Simon und Marie-Luise aus unserem Jahrgang, oder für Delia. Ich war noch nie ein Typ, der unerschrocken allein gegen den Rest der Welt kämpft.
»Vielleicht wird das mit Delia nur eine Freundschaft«, lenke ich also ein. »Du hältst doch dicht, Paul, oder? Sag um Himmels willen Annika nichts davon. Ich hab dir das im Vertrauen erzählt, weil ich im Moment nicht ganz rund laufe. Kann gut sein, dass ich bald wieder runterkomme.«
»Davon gehe ich aus.« Paul nickt. »Ich werde nichts sagen. Aber krieg dich wieder ein, ja? Du kannst Annika nicht ewig hintergehen, die kleine Gärtnerin kann es unmöglich wert sein, dass du eure Beziehung ihretwegen aufs Spiel setzt.«
»Schon klar«, versichere ich und atme aus, fühle mich mies, so als hätte ich Delia verraten, und eigentlich habe ich das auch. Ich muss endlich wieder klarkommen, alles sortieren. Nichts überstürzen, erst mal warte ich ab, wie die Aufnahmeprüfung in der Roy-Lichtenstein-Schule läuft. Darauf muss ich mich jetzt konzentrieren, alles andere findet sich danach. Entweder ich krempele mein ganzes Leben um oder alles geht weiter wie bisher. Ich weià nicht, wovor ich mehr Angst habe.
Ich trinke einen Schluck von meinem Cappuccino, er ist kalt geworden, ich verziehe mein Gesicht.
»Ich bestelle mir einen neuen«, verkünde ich und zücke mein Portemonnaie. »Danke, dass du mir dein Ohr geliehen hast. Willst du auch noch einen? Danach würde ich gerne wissen, was es mit dem Binominalkoeffizienten auf sich hat. Hast du das geschnallt?«
Paul verdreht die Augen. »Na los«, stöhnt er. »Alles noch mal von vorne.«
Am Wochenende bleibe ich zu Hause, obwohl ich mich mehr als je zuvor nach Delia sehne. Wir schreiben uns wilde SMS, auch von ihr kommen liebevolle Sätze, in denen sie schreibt, wie sehr sie sich darauf freue, mich wiederzusehen. Aber wir sehen uns nicht, im Moment will ich alles tun, um vor allem bei meinem Vater kein Misstrauen zu erwecken. Also spiele ich den Traumsohn, hole am Samstag morgens Brötchen, sehr zur Freude meiner Mutter, die früh aufgestanden ist und sich an den Computer gesetzt hat. Seit einem halben Jahr schreibt sie an einem Sachbuch über Osteopathie, der Abgabetermin ihres Manuskripts ist in sechs Wochen, sie muss sich beeilen.
Nach dem Frühstück fahre ich Papas Wagen durch die Waschanlage, sauge es von innen aus, übe Klavier, bis auch sein Lieblings-Ragtimestück »Maple Leaf« von Scott Joplin richtig sitzt. Während ich das spiele, hellt sich sein Gesicht sogar auf, er schnippt mit den Fingern im Takt dazu, und hinterher schlägt er vor, dass wir zusammen joggen gehen.
Also laufen
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