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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Fehér
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sie noch einmal in dem Anblick des frischen, bescheidenen, von ihr gestalteten Grabes, ehe sie sich einen Ruck gibt und geht, und alles an ihrer aufrechten Körperhaltung verbietet mir, ihr zu folgen. Ich sehe ihr nach, bis sie hinter der Kapelle verschwunden ist. Sie kommt nicht mehr zurück.
    18.
    Mitten in der Nacht schrecke ich hoch. Mein T-Shirt klebt nass an meinem Körper, obwohl ich im Schlaf meine Decke vom Bett gefegt habe. Verwirrt blicke ich mich um und keuche, als hätte ich einen Tausend-Meter-Lauf hinter mir, mein Kopf noch voll von den Bildern eines Albtraums, der mich gepeinigt hat.
    Um mich herum schwanken noch die Wände meines Zimmers, doch allmählich gelingt es mir, mich zu beruhigen. Mein Herzschlag verlangsamt sich, mein Atem geht flach. Ich stehe auf und nehme ein frisches T-Shirt aus meinem Schrank, ziehe mich um und lege mich wieder hin, und da fällt es mir wieder ein, dass Delia mich verlassen hat. Es gibt uns nicht mehr, nicht unsere gestohlenen Stunden, von denen nur wir etwas wussten und die mich am Leben hielten. Ohne sie gibt es nur noch Druck.
    Egal ob ich wieder einschlafe oder für den Rest dieser Nacht wach liege, wird es keine Freude geben, wenn ich am Morgen aufstehe. Meine Zeit sehe ich an mir vorüberziehen wie Ware auf einem Fließband, gleichförmig, unauffällige Massenproduktion, sortiert, verpackt und zum Verbrauch ausgeliefert, es ist nichts Besonderes daran, es ist egal, wer ich bin und was ich tue. Den lebendigen Max, der fühlen kann, gibt es nicht mehr.
    Am Montag steht ein neuer Mathelehrer von uns. Jünger als Herr Brückner. Seine dunklen Haare hat er mit einem öligen Zeug nach hinten gekämmt, unter den Achseln zeichnen sich an seinem hellblauen Hemd Schweißflecken ab, die auch noch riechen. Die Mädchen tuscheln und ziehen verstohlen Gesichter über seine leicht aufgeworfenen Lippen, auf jeden Fall sieht sein Lächeln schmierig und unecht aus, als er uns begrüßt. Und er trägt Slipper an den Füßen, ich bin gespannt, was Annika dazu sagt. Kein Mensch trägt heutzutage mehr Slipper.
    Â»Mein Name ist Bollschweiler«, stellt er sich vor. »Ich übernehme bis auf Weiteres die Unterrichtsstunden von Herrn Brückner, der langfristig erkrankt zu sein scheint. Gehen Sie also davon aus, dass Sie auch die Abiturprüfungen bei mir ablegen werden. Selbstverständlich fließen die Vornoten, die Sie von Ihrem früheren Lehrer erhalten haben, in die Gesamtbewertung mit ein.«
    Früherer Lehrer. Er redet, als würde Brückner nie wieder kommen, als könnte man ihn ablegen wie ein unmodern gewordenes Kleidungsstück, nur weil er länger krank ist.
    Â»Was hat er denn?«, will Marie-Luise wissen, sie ist eine der Besten in Mathe.
    Â»Selbst wenn ich es wüsste, dürfte ich es Ihnen nicht sagen, und ich möchte es auch gar nicht. Fangen wir also gleich an. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung, davon gehe ich aus, haben Sie abgehakt. Unser neues Thema heißt also …«
    Ein verhaltenes, entrüstetes Raunen wandert wie eine Woge durch den Raum. So kann er auf keinen Fall mit uns umspringen, er kennt uns nicht und ist nicht bereit, wenigstens die ersten zehn Minuten ein paar persönliche Worte mit uns zu wechseln. Die Mädchen tuscheln erneut, Marie-Luise meldet sich noch einmal.
    Â»Bitte.« Bollschweiler hebt die Augenbrauen und reckt seinen Körper leicht in die Höhe, er ist bestimmt einen halben Kopf kleiner als ich.
    Â»Erzählen Sie uns doch erst mal ein bisschen über sich«, bittet sie ihn. »Immerhin sind Sie jetzt auch unser Tutor, oder nicht?«
    Â»Allerdings. Ich wüsste jedoch nicht, weshalb wir deshalb privat werden sollten.«
    Â»Es muss nicht privat sein.« Marie-Luise schüttelt sich leicht. »Sagen Sie einfach nur, an welcher Schule Sie vorher waren oder ob Sie gerade erst Examen gemacht haben, welche Fächer Sie sonst noch unterrichten … na ja, und die anderen Lehrer haben uns durchaus erzählt, welche Interessen sie in ihrer Freizeit verfolgen.«
    Â»Das gehört nicht hierher«, wiederholt Bollschweiler. »Wenn Sie dann bitte alle Ihr Mathematikbuch hervorholen würden – Seite einhundertvierzehn, das uneigentliche Integral. Aufgabe eins, wer von Ihnen ist so freundlich und liest die Aufgabenstellung vor?«
    Der Einzige, der sich meldet, ist Paul. Während er liest, wird in allen Ecken leise

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