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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Fehér
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gemurmelt, Protest und Verwirrung dringen sicher auch bis zu Bollschweilers Ohren durch. Als die Unruhe ansteigt, greift er jedoch nicht ein, sondern richtet seinen Blick starr auf Paul. Erst als dieser zu Ende gelesen hat, lässt Bollschweiler seinen Blick durch die Reihen wandern.
    Â»Ehe wir weiterarbeiten, möchte ich eines klarstellen«, sagt er. »Sie befinden sich in der zwölften Klasse, wollen in wenigen Wochen Ihre Reifeprüfung bestehen. Ferner gehe ich davon aus, dass Sie alle volljährig sind und keine Kinder mehr, und demzufolge wissen, dass Sie nicht für mich, sondern für sich selbst lernen. Wie Sie sich in meinem Unterricht verhalten, ist Ihre Angelegenheit – Sie sind selbst dafür verantwortlich, ob Sie hier etwas lernen oder nicht. Wenn Sie meinen, Sie müssten sich während der Mathematikstunden privat unterhalten, können Sie das gern tun. Die entsprechende Note im Mündlichen haben Sie sich dann selbst zuzuschreiben.«
    Wir alle tauschen nur noch Blicke untereinander aus, dann wird es still, und Bollschweiler unterrichtet. Noch nie habe ich einen Lehrer erlebt, der mit einem derart leeren Blick monologisiert, seinen Stoff herunterleiert, mechanisch Fragen stellt, unbeteiligt auf die Antworten seiner Schüler reagiert. Nur wenige versuchen mitzuarbeiten, allen voran Paul. Die anderen, darunter auch ich, lehnen sich zurück, die Arme vor der Brust verschränkt. Bollschweiler jedoch lässt sich auch weiterhin nicht beeindrucken. Er schreibt das Smartboard voll und redet – sagt nicht, ob wir mitschreiben sollen, auch das überlässt er uns, stellt Fragen und ruft nur die Schüler auf, die sich melden, anfangs ist es tatsächlich nur Paul, doch nicht einmal die Hälfte der Stunde ist vergangen, als die Ersten einknicken. Noch etwas zögerlich werden Karoblöcke aufgeschlagen und das heutige Datum notiert, verunsicherte Blicke wandern durch den Raum, treffen einander, treffen meinen, richten sich dann nach vorn, versuchen zu begreifen. Einer nach dem anderen beugt sich schließlich über den Block und beginnt mitzuschreiben, zunächst nur wenige Zahlen und Wörter, innerlich noch immer unter Protest. Doch als Bollschweiler seine Seite abwärts scrollt, greift Hektik um sich. Mädchenstimmen flehen, er möge ihnen etwas mehr Zeit geben, danach gibt es kein Geräusch mehr außer dem übereifrigen Kratzen und Schaben von Stiften auf Papier. Schließlich bin ich der Letzte, der noch immer regungslos auf seinem Platz verharrt, selbst wenn ich wollte, könnte ich jetzt nichts mehr notieren, geschweige denn verstehen. Es ist alles so sinnlos ohne Brückner. Heute Nachmittag wird mich mein Vater verhören, wird interessiert aufhorchen, wenn ich von Bollschweiler berichte. Wird einen Termin mit ihm vereinbaren, seine Qualitäten als Lehrer abklopfen. Beide werden die Zügel straffer anziehen, was mich betrifft. Noch straffer. Am Lasso reißen, bis ich bewegungsunfähig bin, mich in den Strudel zerren wie das Meer letzte Nacht in meinem Albtraum.
    Vorne reißt Bollschweiler irgendeinen Witz, ich habe nicht zugehört. Meine Mitschüler lachen höflich, erleichtert. Wenn der Lehrer Scherze macht, auch wenn sie noch so dämlich sind, kann es nicht so schlimm werden. Bollschweiler jedoch wird schnell wieder ernst und zieht seinen Stoff weiter durch, die Stunde nähert sich dem Ende, ich starre auf meine Armbanduhr und zähle die Sekunden als Countdown mit. Als es endlich klingelt, fährt er so unbeirrt fort, als wäre er taub. Die kleine Pause dauert zehn Minuten – erst nach sechsen nickt er uns mit einer knappen Bewegung zu, doch bis wir begriffen haben, dass wir uns jetzt erholen dürfen, ist die Pause fast um. In der zweiten Hälfte des Blocks geht es genau so weiter, er referiert herunter, was in seinen Unterlagen steht, beschäftigt sich mit den leistungsstärksten Schülern, ignoriert die anderen. Verständnisfragen beantwortet er in herablassendem Ton, hält nicht inne, um sich zu vergewissern, ob alle mitgekommen sind.
    Â»Der ist ja klasse«, entfährt es Paul, sobald Bollschweiler verschwunden ist, schlägt mit der Hand auf meine Schulter und lacht. »Total cooler Typ, bei dem lernt man wenigstens was! Und vor allem ist er jung, die anderen Lehrer sind doch alle schon kurz vor dem Rentenalter. Jetzt geht’s raketenartig nach oben mit unseren Leistungen, was

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