Dann mach ich eben Schluss
Gedanken, die wir einfach flieÃen lassen.« Matthias bemüht sich um Beherrschung. »Natürlich vermissen wir ihn. Aber das Leben muss weitergehen, so traurig es auch ist. Entscheiden müssen wir heute noch gar nichts.«
»Mama.« Natalie legt den Arm um ihre Mutter. »Ich vermisse Max, als ob mir mein eigenes Herz aus der Brust gerissen worden wäre. Was ich vorgeschlagen habe, sage ich nur, weil ich glaube, dass Max es gut finden würde. Sieh dich doch um in dem Zimmer! Er hat nicht besonders daran gehangen. Sein Zimmer war für ihn der Ort, wo er geschlafen und seine Hausaufgaben erledigt hat, sofern du, Papa, ihn nicht gezwungen hast, dazu im Wohnzimmer unter deiner Aufsicht zu sitzen.«
Matthias hört auf zu kauen.
»Max waren ganz andere Dinge wichtig«, fährt Natalie fort. »Zum Beispiel, mit seiner Kunst weiterzukommen. Er wollte sein Hobby zum Beruf zu machen. Wenn ihr ihn gelassen hättet, wäre er bestimmt irgendwann nach Paris gegangen, um dort Kurse zu belegen. Oder woanders hin, um sich Anregungen zu holen. Dafür ist es jetzt zu spät, aber wenn irgendwann mal jemand anders vorübergehend hier wohnt, der sich entfalten kann, hätte Max bestimmt nichts dagegen.«
Matthias legt seine Serviette hin.
»Das ist ein starkes Stück«, sagt er scharf. »Ich verbitte mir diesen Ton, Natalie. Wir haben wirklich genug Kummer; dass du jetzt mit solchen Vorwürfen kommst, muss ich mir nicht bieten lassen.«
»Es ist kein Vorwurf«, gibt sie zurück. »Von Paris hat er gar nicht geredet, aber er durfte nicht mal die Schule wechseln, um seinen Schwerpunkt auf das zu legen, was ihm wirklich lag und wichtig war. In unserer Wohnung und damit auch seinem Zimmer hat er sich oft genug eingesperrt gefühlt, deshalb war er in den letzten Wochen auch so oft unterwegs, vermute ich. Es ist Zeit, ihn rauszulassen.«
»Ich möchte keinen Streit«, bittet Corinna. »Beenden wir dieses Thema jetzt. Ich werde über deine Idee nachdenken und auch im Kopf behalten, das Zimmer in ein normales Gästezimmer umzuwandeln, das hätte ja auch Vorteile. Aber ich brauche noch ein bisschen Zeit.«
Matthias und Natalie nicken, danach herrscht Schweigen am Tisch.
»Es tut mir leid, Papa«, sagt Natalie, als die Mahlzeit zu Ende ist und alle noch im Sitzen beginnen, Geschirr und Speisen zusammenzuräumen. »Ich wollte dich nicht verletzen.«
»Schon gut«, antwortet er knapp. »Maximilians Tod setzt uns allen zu. Da du dich entschuldigt hast, bin ich bereit, über deine Worte hinwegzusehen.«
Dennoch nagen genau diese Worte in ihm, als Natalie in ihrem Zimmer verschwunden ist und Corinna die Küche aufräumt. Matthias setzt sich auf die Couch und schlägt die Zeitung auf, versucht sich auf einen Artikel im Wirtschaftsteil zu konzentrieren, merkt jedoch nach einigen Minuten, dass er dreimal denselben Satz gelesen hat, ohne den Inhalt zu begreifen. Mit einem verärgerten Kopfschütteln blättert er die Zeitung durch und betrachtet nur die Fotos und liest die Schlagzeilen und Bildunterschriften, eine Vorgehensweise, die er sonst bei anderen missbilligt, doch heute behält er nicht einmal dies im Kopf. SchlieÃlich faltet er die Zeitung zusammen und greift nach der Fernbedienung des Fernsehers, zappt durch die Kanäle, doch nichts von dem, was die Programme bieten, interessiert ihn. Er schaltet wieder aus und hört, dass sich Corinna jetzt ein Bad einlässt, also wird er noch mindestens eine halbe Stunde allein im Wohnzimmer sitzen. Er weià nicht, was er tun soll, weià nichts mit sich anzufangen, das kennt er nicht von sich, es macht ihn nervös. Einen Augenblick lang überlegt er, seinen Laptop einzuschalten und noch ein wenig zu arbeiten, doch er ahnt, dass er sich auch darauf nicht würde konzentrieren können. Also bleibt er sitzen, lehnt sich zurück und schlieÃt mit einem Seufzer die Augen.
Jetzt also auch noch Natalie, denkt er. Als ob es nicht genügen würde, dass Corinna ihm so viele Vorhaltungen gemacht hat, was Max betrifft. Es ist doch nur zu Maxâ bestem gewesen, dass er ihn davon abgehalten hat, die Schule zu wechseln und noch dazu freiwillig ein Jahr zu wiederholen. Eine Ehrenrunde macht sich einfach schlecht im Lebenslauf, besser ist immer ein gerader Weg nach vorn. Das wirkt zielbewusst, so was wollen die Personalchefs später sehen, alles andere wird doch
Weitere Kostenlose Bücher