Dann mach ich eben Schluss
wer weiÃ, ob sich das lohnt.«
»Lohnt sich nicht«, erwidert Natalie, die auf Maxâ Bett sitzt. »Max würde bestimmt wollen, dass ein Junge, der sonst nicht viel besitzt, seine Sachen tragen kann. Viel Wert hat er auf das teure Zeug sowieso nicht gelegt.«
»Du nun wieder«, seufzt Corinna und legt die Shirts in den Altkleidersack, den sie bereits vor ein paar Tagen bereitgestellt hat. Maxâ Lederjacke hängt auf einem Bügel im Schrank, erst im Herbst hätte er sie wieder hervorgeholt. Natalie hat recht, es hat keinen Sinn, die Sachen aufzuheben, eine Saison nach der anderen verstreichen zu lassen, ohne dass er einmal seinen Schrank öffnet, um sie anzuziehen.
Matthias beginnt, die Elektrogeräte seines Sohnes zu überprüfen; was noch in Ordnung ist, kann im Zimmer bleiben, egal für welchen Zweck es später genutzt wird. Ab und an wirft er einen Blick auf Natalie, die in den Schubladen des Schreibtisches nach Stiften und Papier sucht; was sie für die Schule gebrauchen kann, trägt sie in ihr eigenes Zimmer. Als sie an ihrem Vater vorbeigeht, lächelt sie ihm zu, flüchtig, unverbindlich und doch versöhnlich, beide vermeiden es, den Streit von neulich noch einmal anzusprechen. Die Nerven liegen bei allen blank, man tut sich so leicht gegenseitig weh, jedes unbedachte Wort, jeder Anflug von Zorn oder Vorwurf kann die immer vorhandene Trauer verstärken, den Familienzusammenhalt, der durch das eine fehlende Mitglied ohnehin unheilbar verwundet ist, weiterem Kugelhagel aussetzen. Natalie lächelt auch ihre Mutter an. Wie tapfer sie ist, denkt Corinna. Seit der Auseinandersetzung mit Matthias scheint sie sich zurückzuhalten, es hat keinen weiteren Streit mehr gegeben. Etwas ruhiger wirkt sie, in sich gekehrt, vorsichtiger. Hoffentlich wird sie nicht so wie Maximilian, denkt Corinna und spürt, wie sie beinahe von Panik ergriffen wird bei dem Gedanken, Natalie könnte ihre offene, direkte Art ablegen und sich einigeln, wie ihr älterer Bruder es getan hatte. Nicht sie, denkt sie, während sie ihr nachsieht, bitte nicht auch noch Natalie. Wenn Max nur ein Viertel ihrer Unerschrockenheit und Sturheit besessen hätte, könnte er bestimmt noch leben. So sehr wir auch alle leiden, Natalie soll sich nicht uns zuliebe verändern. Sie soll bleiben wie sie ist, genau so lieben wir sie doch. Sie soll Natalie bleiben, kein Mädchen im Schneckenhaus, das um jeden Preis unseren Erwartungen entsprechen will, wo Max es schon nicht geschafft hat.
Einige Male noch geht Natalie zwischen ihrem und Maximilians Zimmer hin und her, Corinna fühlt die wachsende Unruhe ihrer Tochter. Sie selbst versucht sich auf ihre Tätigkeit zu konzentrieren und beginnt, gut erhaltene Schuhe ihres Sohnes in einen Karton zu packen, danach faltet sie Hemden zusammen, kaum getragen hat er die, Max kleidete sich im Alltag immer unauffällig in Jeans, T-Shirts oder Sweater, denen man ihr Label nicht ansah. Er hatte recht, denkt sie und sinkt auf Maxâ Bett, wo sie minutenlang verharrt und um Fassung ringt; es ist alles so unwichtig, diese Markenkleidung. Max hätte Unterstützung gebraucht in dem, was er wirklich wollte. Zeit zu erzählen, was er erreichen will. Er hatte alles, aber jetzt stehen wir hier und packen seine Sachen ein, weil es ihn nicht mehr gibt, weil er nicht mehr leben wollte, lieber sterben als in dem Raster erwachsen werden, das wir vorgegeben haben.
Es klingelt. Matthias, der gerade eine verstaubte Kiste mit alten Trafos und Kabeln sortiert, hält inne und will öffnen, doch Natalie eilt bereits zur Tür. Corinna lauscht und versucht zu verstehen, wer gekommen ist. Gleich darauf ist klar, dass es sich um Besuch für Natalie handelt. Seit Max ums Leben gekommen ist, haben sie noch fast niemanden in die Wohnung gelassen. Natalie kommt zurück und verabschiedet sich, will nach drauÃen gehen, Corinna spürt, wie schwer es ihr fällt, sie gehen zu lassen, doch äuÃerlich zwingt sie sich zur Gelassenheit. Es kann Natalie nur guttun, wenn sie sich wieder mit Freunden trifft, Ablenkung sucht. Sie trauert um Max nicht weniger, nur weil sie ein paar Wochen nach seinem Tod zaghaft beginnt, so etwas wie Freizeitgestaltung wieder aufzunehmen. Für ein Mädchen wie sie muss es trotzdem Leben geben. Sie soll den Spaà zurückgewinnen und ihre Ziele verfolgen, wenigstens sie.
Erst spät am Abend kommt sie zurück, doch zum
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