Dann mach ich eben Schluss
ersten Mal seit Maxâ Tod nimmt Corinna einen leichten Schimmer in den Augen ihrer Tochter wahr, der nicht von Tränen herrührt. Obwohl sie sich für sie freut, spürt Corinna Erleichterung, als sie sie schlieÃlich sicher in ihrem Bett weiÃ.
Nur mit Mühe kann sie ihre Besorgnis zurückhalten, als der junge Mann namens Jonathan, mit dem Natalie den Nachmittag und Abend verbracht hat, am darauffolgenden Morgen erneut vor der Tür steht und beide verkünden, er werde Maximilians Malutensilien mitnehmen, weil Max sie im Internet versteigert habe. Ein leichtes Schwindelgefühl überkommt Corinna, als der Fremde die Kiste mit Maxâ Stiften und Blöcken an ihr vorbeiträgt. Als die beiden fort sind, muss sie sich setzen und gibt sich einem Weinkrampf hin, dem schlimmsten, seit ihr Sohn gestorben ist. Weil Matthias in der Firma ist, kann sie sich endlich ganz ihrer Trauer hingeben, sie weint lange und so laut wie ein Kind, lässt ihre Tränen laufen, die sie sonst immer mit aller Macht zu unterdrücken versucht hat, ruft Maximilians Namen. Hinterher legt sie sich auf die Couch, vollkommen erschöpft, ihre Augen fühlen sich geschwollen an und brennen, ihr Gesicht ist heiÃ. Am FuÃende liegt eine Decke aus hellem weichem Fleece. Corinna schafft es gerade noch, sie bis über ihre Schultern zu ziehen. Dann fällt sie in einen tiefen, ruhigen Schlaf.
8.
Am Nachmittag fühlt Corinna sich besser. Sie bereitet das Abendessen vor, trinkt einen Kaffee und beantwortet einige Beileidskarten, die verzögert eingetroffen sind. Dabei fällt ihr wieder ein, dass Natalie und Jonathan Maxâ Malsachen mitgenommen haben, und geht nachsehen, ob die beiden das Zimmer halbwegs ordentlich hinterlassen haben. Als sie es betritt, fällt ihr Blick sofort auf ein aufgeschlagenes Skizzenbuch, das auf dem Bett liegt, Max, jagt es ihr in den Kopf, sie muss in der Bewegung innehalten, sich sammeln. Eindeutig liegt eine Zeichnung von Max zuoberst, es erschreckt Corinna, sie plötzlich hier zu entdecken, als hätte Max selbst eben noch hier gesessen und gezeichnet und wäre nur kurz weggegangen, eher er weiter an seinem Bild arbeitet. Mit klopfendem Herzen tritt sie näher und nimmt das Skizzenbuch auf, starrt auf die Zeichnung. Gleichzeitig hört sie wie aus weiter Ferne, wie sich ein Schlüssel im Wohnungstürschloss dreht, hört Matthias in den Korridor treten, das leise Klimpern seines Schlüssels, als er ihn auf die Kommode legt, sein verhaltenes Räuspern. In fragendem Ton ruft er ihren Namen.
»Hier«, antwortet sie, statt ihm entgegenzugehen, hat sich noch nicht ganz wieder gefangen, steht immer noch wie erstarrt. Matthias tritt hinter sie.
»Sieh nur«, sagt Corinna leise. »Er hat dich gezeichnet.«
Behutsam nimmt Matthias ihr das Skizzenbuch aus der Hand und betrachtet das Bild, starrt lange darauf, unfähig, sich zu äuÃern. Er selbst ist auf den Bildern zu sehen, Max hat ihn gezeichnet, und Matthias hat das Gefühl, als würde sein Sohn ihn mit diesem Bild durch die ganzen letzten Monate und Jahre schicken, durch entspannte und schwierige Zeiten. Auch gibt die Zeichnung alle seine Charaktereigenschaften wieder, denn es besteht aus mehreren kleinen Porträts statt einem einzigen groÃen. Es zeigt Matthiasâ angespannte, strenge Miene, die er seinen Kindern gegenüber so oft an den Tag gelegt hat, seinen leicht enttäuschten, bitteren Zug um den Mund, die Lippen ein wenig abwärts gezogen. Es stellt seinen überheblichen, selbstgefälligen Gesichtsausdruck dar, von dem Matthias gedacht hat, dass er ihn bestenfalls unangenehmen Kunden gegenüber aufsetzen würde. Auf einem der Porträts blickt er nach unten, den Mund verkniffen, schmale Augen konzentriert auf etwas richtend, eine Arbeit, einen Brief. Nur auf einer einzigen Skizze wirkt er befreit und fröhlich, hier hat Maximilian ihn sichtlich jünger dargestellt, zudem trägt er Sportkleidung darauf, wie man am Halsausschnitt erkennt; auf allen anderen Bildern trägt er korrekt gebügelte Hemden, darüber ist teilweise das Revers eines Sakkos angedeutet.
»Du hast es also gefunden«, vernimmt er plötzlich Natalies Stimme hinter sich, er hat seine Tochter nicht kommen hören. Auch Corinna zuckt zusammen. Matthias will rasch das Skizzenbuch zuklappen, besinnt sich jedoch anders. Jetzt ist es so weit, jetzt kann er nicht mehr
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