Dann mach ich eben Schluss
die inzwischen ein recht hohes Ansehen in der Stadt genoss. Boris hatte eine Klasse übersprungen, war optisch ein Mädchentyp und vom ersten Tag an der Star der Schule â und er ergatterte in kürzester Zeit auch die attraktivsten Rollen in der Theatergruppe.«
»Hört sich ein bisschen an wie bei Max und Paul.« Natalie hat fürs Erste aufgehört zu rebellieren und hört gebannt zu.
»Da ist was dran.« Matthias nickt. »Aber es kam noch besser: Bei einem unserer Auftritte war ein Scout dabei, der nach Talenten für einen Fernsehfilm Ausschau hielt. Ihr könnt euch denken, wie die Geschichte weiterging.«
»Du hattest das Nachsehen und Boris lieà sich Autogrammkarten drucken.«
»Du hast es etwas überspitzt ausgedrückt, Natalie, aber so ähnlich ist es gelaufen. Mit sechzehn hätte ich mein Leben für diese Rolle gegeben, sie suchten einen Jungen, der einer Mopedgang angehört, aber wegen eines Mädchens aussteigen will.«
»Konntest du überhaupt Moped fahren?«
»Ich hatte eine Zündapp, die mein ganzer Stolz war.« Matthias lächelt in der Erinnerung vor sich hin. »Boris hatte natürlich eine noch schickere Maschine, was für den Film ein weiterer Pluspunkt für ihn war, denn man musste mit dem eigenen Moped kommen.«
»Okay«, sagt Natalie. »Aber was hat das alles mit deiner verbohrten Art Max gegenüber zu tun?«
»Nicht nur in der Theatergruppe blieb ich immer hinter Boris zurück.« Matthiasâ Gesicht verhärtet sich. »Auch sonst blieb ich hinter ihm immer der Zweite, egal ob im Sport, bei den Mädchen oder in Bezug auf die Schulnoten. Ein einziges Mal nur wollte ich ihn übertrumpfen, um überhaupt wieder wahrgenommen zu werden, aber es ist mir nie gelungen.«
»Wart ihr Freunde?«
»Er hat versucht, sich mir anzuschlieÃen, aber ich bin ihm ausgewichen. Als wir schlieÃlich unser Abi in der Tasche hatten â er mit einem Notendurchschnitt von 1,0 und ich mit 1,6 â war ich heilfroh, dass er in eine andere Stadt zog, um zu studieren. Seitdem habe ich nie wieder etwas von ihm oder über ihn gehört.«
»Wenn du mir seinen Nachnamen sagst, kann ich mal bei facebook gucken«, schlägt Natalie vor. »Vielleicht ist er jetzt ein fett gewordener Sack, der im handtuchgroÃen Garten seiner spieÃigen Vorstadt-Doppelhaushälfte für seine Kinder zum Geburtstag Luftballons aufbläst.«
»Bloà nicht«, wehrt Matthias ab.
»Warum nicht? Du hast wenigstens eine stylishe Stuckaltbauwohnung, eine super Frau, eine fetzige Tochter und â¦Â« sie schlägt sich auf den Mund.
»Eben.« Matthias reibt sich die linke Schläfe. »Als Max geboren wurde, habe ich mir vorgenommen, alles zu tun, damit er nicht dieselben Erfahrungen machen muss wie ich: immer und immer nur der Zweite zu sein. Schon sein Vorname hat etwas mit GröÃe zu tun, und ich wollte so sehr, dass er auch ein GroÃer wird.«
»Zu sehr«, seufzt Corinna.
»Ich habe geglaubt, ich hätte mich damals einfach mehr bemühen müssen, dann wäre ich auch so weit gekommen wie Boris. Maximilian aber hat sich ganz anders entwickelt, das hat mich verrückt gemacht. Ihn hat es nie gestört, wenn er irgendwo in der Mitte herumschwamm, Dritter, Vierter, Fünfter war, und dass er immer hinter Paul herhinkte, wäre ihm wahrscheinlich nicht einmal aufgefallen, wenn ich ihn nicht immer wieder angespornt hätte, ihn doch auch einmal zu überholen. Er sollte sich nicht als Verlierer fühlen, so wie ich mich gefühlt habe, ich weià doch, wie grausam das ist. Nur deshalb, nur deshalb bin ich so gnadenlos mit ihm umgegangen.«
»Volltreffer.« Natalie verschränkt die Arme vor der Brust.
»Natürlich war das verkehrt«, ruft Matthias und fährt sich mit beiden Händen durch die Haare, ehe er sein Gesicht hinter ihnen verbirgt. »Max ist nicht Matthias und Paul nicht Boris, das weià ich doch.«
Ich könnte mich scheiden lassen, denkt Corinna. Mit so einem Mann muss ich nicht leben; einem, der gescheitert ist, so sehr gescheitert, dass alles in Trümmern liegt, seine Familie, sein Weltbild, sein Ideal. Max sollte der GröÃte werden und ist nicht mehr da, weil sein Körper auf dem Friedhof liegt. Es ist so grausam. Natürlich hat Matthias bei aller Härte nicht gewollt, dass es so weit kommt, aber er hat es
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