Dann mach ich eben Schluss
seinen Nachttisch. Paul isst langsam, er scheint ewig zu brauchen, bis er fertig ist, der Kaffee wird kalt, angewidert verzieht er das Gesicht. Vielleicht sind heute ein paar gute Wünsche auf seiner Pinnwand bei Facebook, nach dem Frühstück loggt er sich ein und sieht nach, tatsächlich, seine Eltern haben geschrieben, aber die kommen später noch selbst vorbei, und ganz kurz nach Mitternacht hat Annika einen Gruà hinterlassen: Ich weiÃ, wie dir zumute ist. Es kann nur besser werden. Alles Gute, Anni. Den Vormittag über trudeln noch vereinzelt weitere vorsichtige Glückwünsche ein, immerhin schreiben Simon und Charlotte, die er aus der Schule kennt, alles andere sind Verwandte, Cousins und Cousinen, die er selten sieht, Urlaubsbekanntschaften von früher. Bei null anfangen, alles wieder neu aufbauen.
Nach dem Mittagessen kommt die Krankenschwester mit der Post, eine Glückwunschkarte seiner Oma, die darin schreibt, als wäre nichts geschehen, fünfzig Euro hat sie hineingelegt, was soll er damit im Krankenhaus. Aber die Karte ist nicht die einzige Post, die Paul erhält. Sein Blick haftet an einer Papprolle, die die Schwester auf seine Bettdecke legt. An ihn adressiert. Natalie. Also doch.
Paul: Du hattest recht, Annika. Ich hab auch Post bekommen. Auch so eine Rolle..
Annika: Ausgerechnet an deinem Geburtstag ⦠Hast du sie schon aufgemacht?
Paul: Ich wollte damit warten, bis du on bist.
Annika: Mach sie auf.
Paul: O.k., warte ⦠sobald ich einen Blick darauf geworfen habe, schreibe ich.
Pauls Hände zittern, als er versucht, den Anfang des braunen Paketklebebands zu finden, das Maxâ Schwester mehrmals um beide Enden der Rolle gewickelt und sehr glatt gestrichen hat. Verflixt, denkt er; jetzt nicht nervös werden, es muss gar nicht sein, dass Max auch mich in einem fragwürdigen Licht dargestellt hat wie Annika, es ist nicht einmal sicher, dass ich überhaupt drauf bin, es kann auch eine ganz andere Zeichnung sein, die mir Natalie geschickt hat, irgendetwas zur Erinnerung an Max. Sie weiÃ, wie eng wir befreundet waren.
Endlich schafft er es, seinen Daumennagel unter den Kleber zu schieben und zieht ihn ab, knüllt ihn zusammen und bleibt mit der Hand daran haften, als er ihn mit Schwung in den Müllkorb neben seinem Waschbecken werfen will. Es gibt noch keinen Schwung, es ist zu früh, um sich wieder dynamisch zu fühlen, auch die Hüfte schmerzt wieder nach der ruckartigen Bewegung. Paul zieht den weiÃen Plastikdeckel von der Papprolle und greift hinein, zieht einen Papierbogen in DIN A 3 heraus und rollt ihn vorsichtig auseinander.
Natürlich ist er drauf. Auch ihn hat Max gezeichnet, ohne ihm je davon zu erzählen. Paul kann nicht aufhören, die Zeichnung anzustarren, vergisst beinahe zu atmen, denkt nicht daran, dass Annika noch online ist und auf seine Reaktion wartet. Er hat in mein Inneres geschaut, fährt es Paul durch den Kopf. Es ist, als hätte er mir eigens die Schädeldecke abgenommen und in mein Gehirn geblickt wie in eine Glaskugel. Genau so bin ich, genau so war ich immer. Er hat mein Siegerlächeln eingefangen, das mir jetzt verloren gegangen ist, er hat es mir gestohlen mit seiner Tat, da guckst du, Paule, wie. Damit hast du nicht gerechnet, dass du jetzt hier liegst, in den Trümmern deiner Knochen und deiner selbst. Das selbstgefällige Grinsen ist dir vergangen. Du hast gedacht, du wärst unsterblich, und es bin ja auch ich, der draufgegangen ist, nicht du. Der kleine unscheinbare Max ist draufgegangen. Du hoffst, dass du keine bleibenden Schäden zurückbehalten wirst, aber wenn doch, was machst du dann? Wie erklärst du dann allen, die dich immer nur auf der Sonnenseite des Lebens gesehen haben, dass du nie mehr ganz normal wirst gehen können, weil dein Becken auch nach dem Zusammenflicken nicht mehr das sein wird, was es mal war? Wie kommst du klar ohne deine sportlichen Höchstleistungen? Wie sagst du es dem Mädchen, in das du verliebt bist, dass du Wasser und Stuhl nicht halten kannst, ja vielleicht nicht einmal mehr unbeschwert Sex haben wirst, weil es immer sein kann, dass es nicht klappt? Wie sagst du es deinem Mädchen, das vorher meines war? Paul fährt sich mit der Hand übers Gesicht. Max kann das Bild ganz anders gemeint haben, versucht er sich zu beruhigen, immerhin hat er mich nicht verfremdet wie seine Zeichnung von Annika. Man könnte auch sagen, er schaut
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