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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Fehér
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vergeht so der Tag schneller. Ein Tag, der sich ohne Ziel in die anderen reiht und nur dazu da ist, ein Teil der Zeit zu sein, die vergehen muss, bis der Schmerz irgendwann nachlässt, der körperliche und vor allem der um Max, den er heute heftiger spürt als je zu vor. Paul gewinnt und denkt daran, wie er sich früher über solche Siege gefreut hat, als Kind war alles so leicht gewesen, auch gegen Max hatte er früher meist gewonnen. Im Fernsehen läuft nach der Tagesschau der Film »Fast and Furious«, auch den haben sie schon mehrmals gesehen und starren dennoch dankbar auf den Bildschirm. Paul verschweigt seinen Eltern, dass die vielen Autoszenen genau das Falsche für ihn sind, und sie bemerken nicht seine zitternden Hände dabei, sein trockenes Schlucken.
    Nach dem Film verabschieden sich die Eltern. Die Krankenschwester kommt und räumt auf, Paul versucht mit einem Roman zu beginnen, den seine Mutter ihm besonders empfohlen hat. Es gelingt ihm nicht, also arbeitet er sich mühevoll aus dem Bett, zieht sich seine Jogginghose über, sie ist zu warm, aber sie verdeckt die Kompressionsstrümpfe, die er wegen der Thrombosegefahr auch bei hochsommerlichen 30 °C tragen muss. Dann tritt er mit dem Gehwagen auf den Flur, will nach draußen, zum ersten Mal raus aus dem Gebäude. Die Schwester erlaubt es ihm.
    Unten sieht er Annika. Also ist sie doch gekommen, schießt es ihm durch den Kopf. Ihr Anblick durchfährt ihn wie ein Stromstoß, mit voller Wucht, noch hat sie ihn nicht gesehen. Es ist das erste Mal nach dem Unfall. Sie hat sich verändert, denkt er, genau wie bei mir ist ihre Sorglosigkeit verschwunden. Ihre leicht überhebliche Kopfhaltung, der aufrechte Gang sind einem vorsichtigeren, verzagten gewichen, die Schultern ganz leicht nach vorn geneigt, kaum wahrnehmbar, aber er kennt sie gut, so war sie früher nicht. Annika steht vor dem Glashaus am Empfang und erkundigt sich nach seiner Zimmernummer, Paul will zu ihr eilen, kommt jedoch nicht rasch genug voran, schon eilt sie auf die Treppe zu, er hat den Fahrstuhl genommen. Er ruft ihren Namen.
    Â»Paul«, japst sie und verharrt einen Moment, er sieht, dass sie ebenso erschüttert von seinem Anblick ist wie er von ihrem, wahrscheinlich sogar noch mehr, so wie er aussieht, zusammengeflickt, noch fast unbeweglich und in diesen Klamotten. Immerhin hat er sich vormittags nach dem Bewegungsbad die Haare gewaschen und vor dem Besuch seiner Eltern dafür gesorgt, dass sie einigermaßen liegen, hat ein paar Strähnen extra so frisiert, dass sie lässig in die Stirn fallen wie auf Max’ Zeichnung.
    Annika kommt auf ihn zu und umarmt ihn flüchtig, ihr Kuss auf seine Wange ist nur ein Hauch.
    Â»Ich wünsch dir Gesundheit«, flüstert sie, und Paul denkt, wie wahr dieser sonst so gedankenlos hingesagte Satz heute ist. Sie gehen nach draußen, die automatische Schiebetür am Hintereingang der Klinik gibt für Paul die Außenwelt frei, von der er kein Teil mehr gewesen ist, seit er hier eingeliefert wurde.
    Die Luft an diesem Hochsommerabend ist lau und windstill, ein Abend von der seltenen Sorte, an der man bis in die Nacht im Freien bleiben kann, ohne zu frieren. Paul und Annika bewegen sich langsam einen der Parkwege entlang, weg vom Klinikgebäude, Paul möchte sich so weit wie möglich davon entfernen, doch bereits nach etwa fünfzig Metern spürt er, dass seine Kraft noch nicht ausreicht, Schweiß tritt auf seine Oberlippe und er spürt ihn auch an den Schläfen, am Rücken. Er steuert eine Bank an, deutet mit einer ausladenden Bewegung darauf, als wolle er Annika galant einen Platz anbieten, wie er es früher manchmal getan hat, damals immer breit lächelnd und guter Dinge. Sie muss nicht merken, wie schlecht es ihm geht, wie mühsam alles für ihn ist, er wünscht sich, dass sie spürt, wie sehr er sich freut, sie zu sehen. Darüber, dass sie doch noch gekommen ist, sein Geburtstag ist ihr also nicht vollkommen gleichgültig. Annika setzt sich zuerst, hält ihre Augen auf ihn gerichtet, während er die Bremsen seiner Gehhilfe feststellt, überprüft, ob das Gefährt wirklich sicher steht und dann ebenfalls auf die Sitzfläche sinkt, vorsichtig, zentimeterweise, bemüht, nicht vor Schmerz das Gesicht zu verziehen. Aber auch an ihr bemerkt er die Veränderung, jetzt, wo sie neben ihm sitzt noch stärker als zuvor im Gang, ihr

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