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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Fehér
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als wenn er unter Dauerstress steht. Es ist seltsam, wie intensiv ich mich mit meinem Vater beschäftige, während ich ihn zeichne. Vielleicht hat Herr Brückner recht, wenn er sagt, über das Bild werde sich Papa freuen, aber ich weiß nicht, ob ich es ihm wirklich zeigen oder sogar schenken kann. Als es beinahe fertig ist, lege ich meinen Bleistift in die Blechschachtel zurück und halte den Zeichenblock auf Armeslänge von mir ab, um es zu betrachten.
    Ich glaube, selten ist mir ein Bild so gelungen wie dieses. Es ist, als ob ich Papa einen Spiegel vorhalte, ein Bild seines Charakters und seiner Wirkung auf andere oder zumindest auf mich. Ich glaube, ich habe alle seine Eigenschaften eingefangen, die Überheblichkeit, seine Schwierigkeit, sich wirklich zu entspannen, seine mangelnde Toleranz, seinen Zwang, immer vorankommen zu müssen und dies auch von anderen zu erwarten, besonders von mir. Seinen bemüht wirkenden Humor, den kaum jemand teilt und wenn, dann aus Höflichkeit. Seine immer leicht verkrampfte Haltung, selbst dann, wenn er glaubt, gelassen und fröhlich auf andere Menschen zuzugehen. Alles habe ich nachgespürt, eingefangen und in meinem Bild aufgegriffen und umgesetzt. Ich wusste gar nicht, dass ich ihn so gut kenne.
    Aber ich bin nicht sicher, ob ich es ihm wirklich schenken kann. Ob er annehmen würde, wie das Bild gemeint ist und sich darin wiedererkennen. Es ist ja nicht nur schmeichelhaft, was darauf zu sehen ist, und mein Vater sieht sich selbst gern im besten Licht. Kann nur schwer Schwächen zugeben. Wenn ich es ihm zu einem Fest schenkte, zu Weihnachten etwa oder zum Geburtstag, würde ich Gefahr laufen, die Stimmung zu verderben, die Freude über den Tag, falls er sich beleidigt, ertappt fühlt. Aber vielleicht spürt er auch, wie viel in diesem Bild steckt. Was für intensive Gedanken ich mir um ihn gemacht habe. Dazu müsste er sich allerdings ein wenig Zeit nehmen, sich mit den verschiedenen Studien seiner Person auseinanderzusetzen. Zur Selbstkritik bereit sein. Ich fürchte, das wird nichts.
    Ein Blick auf mein Handydisplay verrät mir die Uhrzeit, es ist fast Mitternacht. Die Stunden sind nur so an mir vorbeigerauscht, ich habe nichts davon gemerkt, aber jetzt spüre ich doch, wie müde ich plötzlich bin. Ich klappe meinen Block wieder zu, ohne Papas Bild herauszutrennen, räume meine Zeichensachen zusammen und packe alles zurück in meinen Schrank. Unschlüssig stehe ich im Zimmer herum. Schlafen kann ich bestimmt noch nicht. Ich könnte Annika anrufen, vielleicht sind ihre Freundin und sie noch nicht nach Hause gegangen, aber eigentlich will ich nicht. Raus will ich schon, mein Körper sehnt sich nach etwas Bewegung und frischer Luft. Also ziehe ich meine Sneakers an, schlüpfe in meine Jacke und gehe. An der frischen Luft spüre ich, dass mein Magen knurrt. Irgendwo hat bestimmt noch eine Dönerbude auf.
    April
    6.
    Wenig später fängt die Klausurphase an. Paul und ich pauken ab und zu gemeinsam, ich wage nicht, ihm zu sagen, dass ich eigentlich lieber allein lerne. Manches, was ich nicht verstehe, erklärt er ganz gut, aber es ist mir unangenehm, weil ich mir dabei immer wie ein Idiot vorkomme.
    Â»Und, mein Sohn, bist du gut vorbereitet? Hast du den Stoff drauf?«, fragt mich mein Vater morgens, ehe er ins Büro fährt. Heute schreiben wir Mathe und übermorgen Latein, die Grammatikregeln sind in den letzten Wochen irgendwie an mir vorbeigerauscht und dabei sind Lücken entstanden, die ich nicht mehr aufholen konnte. Ich kann nur hoffen, dass ich wenigstens ein paar Aufgaben gut hinbekomme, Übersetzungen vom Lateinischen ins Deutsche, dabei kann nicht so viel schiefgehen, umgekehrt wird es schlimmer, man muss die Endungen ganz genau kennen, um die Zeiten und Fälle nicht durcheinanderzubringen. Wer in Mathe gut ist, sagt man, ist es auch in Latein; wer über eine Sprachbegabung verfügt, dem fliegt Latein noch lange nicht zu, weil diese tote Sprache logisches Denken erfordert. Für mich ist beides Horror, und mir blieb kaum Zeit, für die Lateinklausur zu lernen, weil Mathe noch schlimmer ist. Ich wünschte, diese beiden Tage wären schon vorbei.
    Papas prüfende Blicke tragen ihren Teil dazu bei, dass ich kaum etwas essen kann. Mein Magen krampft sich zusammen, so sehr, dass mir der Schweiß ausbricht, in meiner linken Schläfe hämmert es, nur mit Mühe bekomme ich

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