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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Fehér
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schon, Malen und Zeichnen zu können, wenn man dafür vor den wichtigen Halbjahresklausuren sitzt wie paralysiert und nichts, aber auch gar nichts zustande bringt.
    Â»Noch zehn Minuten«, verkündet Brückner irgendwann, ich habe nicht mehr gemerkt, wie die Sekunden verronnen sind, habe nur vor mich hingestarrt, es hatte keinen Sinn mehr, über den Aufgaben zu brüten. Die ganze Schule hat keinen Sinn mehr, alles hat keinen Sinn mehr. Eine endlose Fahrt im Nebel. Ich spüre Brückners Blicke auf mir ruhen, die Stirn gerunzelt und die Lippen unter dem Schnauzer geschürzt, sorgenvoll. Er weiß genau was mit mir los ist, sieht das nahezu leere Blatt vor mir liegen. Ich würde ihm so gern imponieren, ein einziges Mal mit einer gelungenen Klausur glänzen, vor ihm wäre mir das noch wichtiger als vor meinem Vater, weil ich weiß, dass er sich wirklich für mich interessiert, für mich als Menschen. Auch ohne Mathe. Aber gerade deshalb. Wenn ich in Mathe meine Leistungen verbessern könnte, wäre das auch eine Bestätigung für ihn als Lehrer. Er hätte es so verdient.
    Die zehn Minuten sind um. Paul überfliegt seine Bögen und nickt zufrieden, ein paar von den anderen blicken verzweifelt auf, dann ist die Stunde um und der Raum leert sich. Am liebsten würde ich einfach an Brückner vorbeigehen, ohne ihn anzusehen, es ist mir alles so peinlich, er gibt sich so viel Mühe mit mir, hat sich extra meine Bilder angesehen und ich bin in seinem Fach eine solche Null. Aber es geht nicht. Und heute Abend wird mich Papa erneut nach dem Termin fragen. Seinen Termin, an dem er meinen Lieblingslehrer zur Wurst machen will, und ich kann es nicht verhindern. Wenn ich noch einmal nach Hause komme und sage, ich hätte es vergessen, wird mein Vater Herrn Brückner anrufen und dann würde alles noch schlimmer, weil seine Stimmung entsprechend aufgeheizt ist. Es geht nicht. Paul wartet vor der Tür auf mich, ich beeile mich, Herrn Brückner den Terminvorschlag für morgen auszurichten, den mein Vater aus seinen spärlichen »Zeitfenstern« für ihn »freigeschaufelt« hat. Brückner nickt, fragt nichts weiter.
    Â»Richten Sie ihm aus, dass ich mich auf das Gespräch freue«, sagt er und bringt mich zur Tür. »Und nehmen Sie eine vergeigte Klausur nicht so tragisch, Maximilian. Wir finden Ihren Weg schon, glauben Sie daran. Ganz fest. Wir finden ihn gemeinsam.«
    Â»Danke«, antworte ich, noch immer wie benommen, die Niederlage sitzt tiefer als mein Lehrer es wahrnimmt, ich weiß ja, dass er mir helfen will, aber es ist vergebens, immer wieder, ich kann Mathe nicht, aber ich muss. Etwas anderes wird mein Vater nicht dulden. Keine Kunst, nicht Kinderbuchillustrator oder Grafiker werden. Jurist oder Arzt, darunter machen wir es gar nicht erst, mein Sohn, etwas Seriöses, das dir zu Ansehen verhilft, keine kindlichen Spinnereien.
    Paul wartet auf mich und mit ihm Annika. Ich trete auf die Straße und atme tief durch. Heute ist es mild draußen und fast windstill, die Luft riecht bereits nach den ersten Blüten im Frühling, ich fülle meine Lungen damit und warte auf das befreiende Gefühl, das sich normalerweise in solchen Augenblicken in mir ausbreitet. Aber es kommt nicht. Alles in mir bleibt eng, beklommen, ich kann mich nicht freuen, nicht darüber, dass Schulschluss ist, nicht über meine Freundin, die tröstend ihren Arm unter meinen schiebt. Immerhin. Kein Augenrollen, kein genervtes Aufstöhnen, ich müsste das doch endlich mal packen. Jetzt wäre ich gern mit ihr allein, brauche Trost, würde Annika gern erzählen, wie es in mir aussieht. Ganz in Ruhe, ohne ihr oder mir oder irgendwem sonst etwas beweisen zu müssen. Würde ihr auch gern von dem Gespräch mit Brückner erzählen. Vielleicht versteht sie mich.
    Â»Kommst du noch mit zu mir?«, frage ich sie deshalb leise. Drücke ihren Arm fest, es tut gut, ihre Wärme zu spüren. Aber Annika blickt zweifelnd.
    Â»Was ist dann mit Paul?«, fragt sie. »Er hat auch extra gewartet. Ich dachte, wir könnten zusammen was essen gehen, Pizza oder zum Mittagsbüfett beim Inder. Alle drei, dann hättest du ein bisschen Ablenkung.«
    Alle drei. Sie will wieder Paul dabei haben, dann können wir es gleich lassen. Paul checkt bereits mit der Suchfunktion seines Handys ab, welche Restaurants im Umkreis der Schule jetzt geöffnet

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