Dann muss es Liebe sein
fühlst. Mir ist das auch schon passiert.«
»Ihnen?« Shannon runzelt zweifelnd die Stirn
»Es war an dem Tag, als ich Emma kennenlernte«, erkläre ich.
Ich erinnere mich so deutlich daran, als sei es erst gestern gewesen. Es war unser erstes Seminar im Autopsiesaal. Der Professor – Professor Vincent – hatte mir, Emma und einem dritten Studenten einen toten Windhund zugewiesen. Emma hatte mir die Ehre des ersten Schnitts überlassen, und so krempelte ich, erfüllt von der Wärme unserer neuen Freundschaft, die Ärmel hoch und befestigte eine Klinge am Griff meines Skalpells.
»Machen Sie schon.« Professor Vincent klopfte auf seine Armbanduhr. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«
Ich atmete tief ein, legte die Fingerspitzen meiner linken Hand auf die Haut über dem Schulterblatt des Windhunds und zog mit dem Skalpell eine Linie.
»Sie müssen schon etwas fester drücken.« Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute mir Professor Vincent ungeduldig über die Schulter.
Ich versuchte es noch einmal. Ich weiß nicht, was dann passierte, ob ich diesmal zu fest drückte oder ob die Klinge vom Knochen abrutschte, jedenfalls spritzte plötzlich frisches rotes Blut aus meiner Armbeuge über den Tisch, den Hund, den Boden und Emmas blütenweißen neuen Kittel. Ich starrte es an, und Scham und Selbstzweifel wuchsen in mir an, bis alles vor meinen Augen verschwamm und ich zu sterben glaubte.
Ich muss Professor Vincent dankbar sein, auch wenn ich mich niemals an seinen Sarkasmus gewöhnen konnte. Er hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet, während vierzig angehende Tierärzte hilflos zusahen.
Im Krankenwagen erlangte ich vorübergehend das Bewusstsein wieder. Emma war bei mir, genau wie später nach der Operation, bei der die Schnitte in meinen Blutgefäßen vernäht worden waren. Sie saß an meinem Bett und informierte mich über den neuesten Klatsch und den Inhalt der Vorlesungen. Ich sagte ihr, sie könne sich die Mühe sparen.
»Aber das ist doch keine Mühe«, antwortete sie. »Was ist denn los, Maz?«
»Ich glaube nicht, dass ich das schaffe.« Ich schaute hinunter auf den Verband an meinem Arm. Mein Magen schmerzte, und im Mund schmeckte ich den bitteren Geschmack von Galle und Niederlage. Ich fühlte mich elend, als ich weitersprach: »Ich glaube nicht, dass ich zur Tierärztin geboren bin.«
»Sei doch nicht albern. Jeder fällt ab und zu mal in Ohnmacht. Du gewöhnst dich schon noch an das Blut.«
»Es ist nicht nur das Blut, das mir Sorgen macht.« Ich war immer die Erste, die im Fernsehen Operationen verfolgte, und auch in der Tierarztpraxis, in der ich samstags und nach der Schule ausgeholfen hatte, hatte ich zahlreiche Operationen gesehen, ohne dabei aus den Latschen zu kippen. »Mir war nicht klar, dass ich so ungeschickt bin. Wie soll ich das denn später meinen Kunden erklären? Tut mir wirklich leid, dass ich die winzige Warze an Roverts Augenlid nicht erwischt habe, dafür habe ich ihm zum Ausgleich den Schwanz abgehackt.«
Emma lachte laut auf, was eine vorbeigehende Schwester zu einem mahnenden »Pst« veranlasste.
»Das ist nicht witzig«, erwiderte ich und musste wider Willen lächeln.
»Ich weiß«, antwortete sie und wurde wieder ernst, »aber das wird schon werden. Wir haben sechs Jahre Zeit zum Üben.«
»Und Emma hatte recht«, sage ich zu Shannon, nachdem ich ihr erzählt habe, was damals passiert ist. »Noch lange danach wurde mir jedes Mal ganz heiß, und ich zitterte, wenn ich einen Operationssaal betrat, weil ich immer dachte, ich würde wieder in Ohnmacht fallen, doch es ist nie mehr vorgekommen. Also gib jetzt nicht einfach auf. Versuch es noch einmal.«
Shannon schaut vom Boden zu mir auf, und ihr Gesicht ist bleicher denn je.
»Wenn ich noch einmal umkippe, dann war’s das«, meint sie. »Aus, Schluss und vorbei.«
Erleichtert sorge ich dafür, dass Frances sie vorne am Empfang mit Tee und Keksen wieder aufpäppelt, während Izzy und ich Petra zurück in den Zwinger neben dem von Sally bringen und ein paar Minuten zusehen, wie sie allmählich wieder zu sich kommt.
»Sie wissen, dass wir sie nicht behalten können«, erklärt Izzy. »Jemand muss das doch mal aussprechen.«
»Ja, aber nicht so laut, wenn es geht.« Die Redewendung »die Wände haben Ohren« ist nirgends so wahr wie im Otter House.
»Ich brauche jemanden, auf den ich mich verlassen kann. Ich kann mich nicht gleichzeitig um die Patienten und um Shannon kümmern. Das ist zu viel.«
»Ich verstehe ja
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