Dann muss es Liebe sein
Ihrem freien Tag hergerufen habe. Emma ist verschollen.«
»Kein Problem – die Wellen taugen heute sowieso nichts … Was kann ich für Sie tun?«
»Sedieren und einen Abszess aufschneiden«, erläutere ich hoffnungsvoll. Unter normalen Umständen würde ich ihn nicht darum bitten, aber ich weiß nicht, ob ich im Moment den Geruch ertragen könnte. Außerdem bin ich seit halb neun hier unten und könnte eine Pause gebrauchen – und damit meine ich, mich hinzusetzen und endlich ein paar Anrufe zu erledigen. Trotzdem renne ich nicht sofort weg, sondern genieße die seltene Gelegenheit, einfach ein bisschen zu plaudern. Meistens haben wir so viel zu tun, dass wir kaum hinterherkommen.
»Soll ich dir assistieren, Drew?«, bietet Shannon ihm an und bereitet unter Izzys Aufsicht eifrig alles für den Eingriff vor, während Drew die passende Dosis Beruhigungsmittel aufzieht. Ich bin etwas verschnupft, weil sie für Drews Abszess viel mehr Begeisterung zeigt als für meine Kastration.
»Was glaubst du, wie das passiert ist, Drew?«, säuselt Shannon.
Izzy sieht mich an und tut so, als steckte sie sich einen Finger in den Hals. Ich bin überrascht – ich dachte immer, im Grunde ihres Herzens sei sie eine Romantikerin.
»Der kleine Kerl hat sich mit jemandem angelegt und wurde gebissen.« Drew legt den schläfrigen schwarzen Kater auf dem Behandlungstisch auf den Bauch und streckt seine Beine nach vorn und hinten weg. »Willst du ihn scheren?«
»Darf ich?« Shannon glüht geradezu, und in Drews Augen leuchtet ein verschmitztes Funkeln.
»So schwer ist das ja nun auch nicht«, brummt Izzy.
»Ich habe das Schergerät noch nie benutzt«, sagt Shannon, als sie es in die Hand nimmt.
Ich weiß, warum – Izzy ist etwas eigen, wenn es um das Schergerät geht.
»Es funktioniert nicht.« Verwirrt starrt Shannon das Gerät an.
»Es würde helfen, wenn du es an den Strom anschließt«, entgegnet Izzy, und Drew steckt den Stecker in die Dose.
»Ich mach es jetzt an, Shan«, verkündet er und betätigt den Schalter, woraufhin das Gerät sein sanftes Schnurren ertönen lässt.
Ich bemerke, wie Izzy den Ventilator höher stellt, als Shannon den Kopf des Katers zu rasieren beginnt, der auf die doppelte normale Größe angeschwollen ist. Vermutlich bin ich nicht die Einzige, der auffällt, dass es hier drin immer schwüler wird, und das hat nichts mit dem Autoklav zu tun. Wenigstens handelt es sich nur um einen harmlosen Flirt. Ich würde mir mehr Sorgen machen, wenn Shannon und Drew tatsächlich ein Paar wären. Ich weiß, wie unangenehm es sein kann, in einem kleinen Team mit einem Kollegen zusammen zu sein. Ich erinnere mich noch genau an die bissigen Bemerkungen und das Getuschel der Arzthelferinnen und Empfangssekretärinnen, als ich in London mit meinem Chef zusammengezogen bin. Aber viel schlimmer noch war, wie ausgeschlossen ich mich gefühlt habe, nachdem die Beziehung in die Brüche ging und alle anderen sich auf Mikes Seite schlugen. Wahrscheinlich fühlten sie sich ihm verpflichtet, da er ihre Gehälter bezahlte, obwohl er derjenige war, der fremdgegangen war.
»Jetzt kannst du den Bereich desinfizieren«, weist Drew Shannon an, als sie fertig ist, »und wenn du das erledigt hast, kannst du mir eine frische Klinge holen. Eine von den spitzen.«
Als alles bereit ist, zieht Drew die Haut am Kopf der Katze straff und sticht mit der Spitze der Klinge in den Abszess. Eine dickflüssige, gelblich graue Flüssigkeit spritzt heraus, und ein warmer, stechender Geruch erfüllt die Luft.
»Du hast mich getroffen!«, kreischt Shannon, doch diesmal rennt sie nicht weg, um ihr Haar und ihr Make-up zu richten. Ist das ein Zeichen dafür, dass sie anfängt, ihren Beruf ernst zu nehmen, oder will sie bloß Drew beeindrucken?
»Das kommt davon, wenn man den Leuten zu dicht auf die Pelle rückt«, bemerkt Izzy kühl. Sie zeigt Shannon, wie man den Abszess ausdrückt, bis auch der letzte Tropfen Eiter entfernt ist. »Ich liebe ordentliche Abszesse. Das Zeug sieht aus wie Roquefort-Dip.«
»Nicht wie die, die ich bisher gegessen habe«, entgegne ich.
»So, nun spritze ich ihm noch ein Antibiotikum, und dann kannst du ihm einen Kragen umlegen«, sagt Drew.
»Vielleicht wäre ja auch eine Drainage ganz sinnvoll, meinen Sie nicht?«, unterbreche ich ihn so taktvoll wie möglich.
»Ja, klar. Gute Idee.« Drew reibt sich den Nacken. »Wieso ist mir das nicht selbst eingefallen?«
Der Spruch »Viele Köche verderben den Brei« –
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