Dann muss es Liebe sein
den Tee mache. Ich weiß, es klingt schrecklich, und ich bin entsetzt über mich selbst, aber mir kommt der Gedanke … Warum Emmas Baby und nicht meins?
Ich streichle meinen Bauch, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, und nachdem ich halbwegs die Fassung wiedergefunden habe, rufe ich Alex an.
»Alex«, setze ich an, »es ist wegen Emma.«
»Was hat sie gesagt?«, fragt Alex. »Wie hat sie es aufgenommen?«
»Ich habe es ihr nicht gesagt.«
»Ach, Maz. Warum denn nicht?«
»Das Baby ist tot.« Das Sprechen fällt mir schwer. »Emmas Baby.«
»Ich dachte schon …« Alex stockt. »Mein Gott, Emma muss am Boden zerstört sein.«
»Ich fahre zu ihr, sobald ich hier wegkomme«, sage ich. Ich knülle ein weiteres Taschentuch zusammen und werfe es in den Mülleimer.
»Soll ich mitkommen?«
»Ich würde lieber allein gehen.« Wahrscheinlich bin ich ein Feigling, denn in Wahrheit würde ich am liebsten überhaupt nicht hingehen. Ich weiß nicht, wieso. Emma ist meine beste Freundin, und sie braucht meine Unterstützung. Wovor habe ich so große Angst?
»Dann komm doch anschließend her«, schlägt Alex vor.
»Ich weiß nicht, ob ich in der richtigen Stimmung dafür bin.«
»Ich nehme dich in den Arm.«
In den Arm genommen werden klingt gut.
»Mal sehen, wann ich zurück bin«, antworte ich, »und wie ich mich dann fühle.«
Ich putze mir die Nase, wasche mein Gesicht und gehe mit Frances’ Tee zurück an den Empfang. Izzy ist bei ihr, Tränen laufen ihr über das blasse Gesicht.
»Das ist so, als würde man ein neugeborenes Lamm verlieren«, stammelt sie.
Es klingt vielleicht herzlos, Emmas Baby mit einem Schaf zu vergleichen, aber ich weiß, dass Izzy es nicht böse meint. Für sie ist alles Leben, sowohl das eines Menschen als auch das eines Tieres, gleich wertvoll, und ich bin durchaus geneigt, ihr darin zuzustimmen.
»Warum musste das unbedingt Emma passieren?«, fährt Izzy fort. »Es gibt so viele Frauen, die bei der erstbesten Gelegenheit schwanger werden und ihr Baby nicht mal wollen …« Es macht mich nervös, wie sie mich dabei anschaut, selbst wenn das albern ist, denn Izzy weiß nicht, dass ich auch zu diesen Frauen gehöre. »Emma hat das wirklich nicht verdient.«
»Es schien ihr doch gut zu gehen«, sage ich.
»Vielleicht war es ja irgendwas in der Praxis«, mutmaßt Frances, »eine der Chemikalien, die wir hier verwenden.«
»Das glaube ich nicht, Frances. Wir sind sehr vorsichtig. Das wissen Sie doch.«
»Ich habe ihr gesagt, ich würde babysitten, und jetzt …« Frances unterdrückt ein Schluchzen. »Oh, das arme kleine Ding. Das ist ja alles so schrecklich …«
Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, was mit Frauen geschieht, die ihr Baby verlieren. Als ich im Krankenhaus ankomme, liegt Emma in einem Nebenraum der Entbindungsstation. Es erscheint mir unmenschlich und grausam, sie in unmittelbarer Nachbarschaft zu Müttern mit ihren neugeborenen Babys zu behandeln, und wieder einmal wird mir bewusst, dass nichts perfekt ist. Auch bei uns im Otter House denken wir uns nichts dabei, Kaninchen und andere kleine Beutetiere im selben Raum zu behandeln wie Hunde und Katzen, und ich nehme mir vor, schnellstmöglich etwas an diesem Zustand zu ändern.
Im Zimmer ist die Jalousie hochgezogen, obwohl es draußen schon dunkel ist. Emma sitzt auf dem Bett, schaukelt vor und zurück, das Kinn hinter die Knie gezwängt, die Fingernägel in die Schienbeine gedrückt. Ihre Augen sind rot und verquollen, ihr Gesicht so zerknittert und weiß wie die Laken. Ein leeres Glas steht neben ihr, und die Tasche, die sie schon vor Wochen in Erwartung des freudigen Ereignisses gepackt hat, steht auf dem Boden.
Zögernd bleibe ich neben dem Bett stehen, beiße mir auf die Lippen und weiß nicht, was ich sagen soll. Ich meine, was kann man in einer solchen Situation schon sagen? Tut mir leid? Vielleicht klappt’s ja beim nächsten Mal? Es hat nicht sollen sein? Wie kann ich etwas sagen, wenn meine Kehle so zugeschnürt ist, dass ich kein Wort herausbringe?
»Maz.« Ich höre, wie die Tür hinter mir geschlossen wird, schaue über die Schulter und sehe Ben, der auf mich zukommt und eine Hand auf meinen Rücken legt. »Wir sind froh, dass du gekommen bist.« Er wendet sich seiner Frau zu. »Nicht wahr, Em?«
Emma antwortet nicht.
Ich hebe die Hand und halte dicht neben ihrem Arm inne. Ich möchte sie berühren, sie trösten, aber ihr ist offenbar überhaupt nicht bewusst, dass ich hier bin. Ich
Weitere Kostenlose Bücher