Dann press doch selber, Frau Dokta!: Aus dem Klinik-Alltag einer furchtlosen Frauenärztin (German Edition)
abgestillt war – mit zwei Jahren und exakt zur 16-Uhr-Mahlzeit! –, trat zeitgleich eine ganze Batterie neuer Pläne in Kraft: Merle-Klara-Sophie durfte nun nämlich mitnichten essen, wann und was sie wollte (»Das sind zu viele Kalorien im Käsekuchen, zu viel Zucker im Joghurt!«), nicht alles anfassen (»Nein, das ist Gras, das ist schmutzig!«), nicht auf die Schaukel (»Da wird es ihr schlecht!«), nicht in die Sandkiste (»Zu viel Sand im Schuh!«) und absolut und überhaupt nicht Dreirad fahren (»Achtung, Verletzungsgefahr!«). Nach eineinhalb Stunden unentspannten Beisammenseins wurde dann auch schon wieder zum Aufbruch geblasen, denn selbstverständlich konnte Merle-Klara-Sophie ihr Abendessen nur in heimatlicher Umgebung zu sich nehmen, und allein die Vorstellung, die abendliche Zubettgeh-Stunde könnte sich um eine halbe Minute nach hinten verlagern, trieben Kristina und Jan die Schweißperlen auf die Stirn.
Aber – wenn ich ganz ehrlich bin, so ist mir der zwanghafte Typ Eltern immer noch lieber als Probanden der Gruppe …
Die Mir-ist-alles-scheißegal-Eltern!
Auf diese Spezies treffen die von Rüdiger Hoffman bezeichneten »Arschloch-Kinder« zu – also Kinder, die einer Umweltkatastrophe gleich binnen kürzester Zeit alles im Umkreis von 50 Metern verwüsten, während Mommy und Daddy, Kaffee schlürfend und Kuchen mümmelnd, entspannt im Wohnzimmer sitzen. Ernsthaft – DAS macht mich fertig.
Sicher, auch wir haben keine persilgeweißten Engel großgezogen. Und somit haben auch unsere drei mal den Wohnzimmer-Blumentopf umgegraben, weil Erde sich so toll anfühlt, haben volle Saftbecher umgeworfen, das Mittagessen auf dem Boden statt im Mund verteilt oder das Kinderzimmer knietief mit allen greifbaren Spielsachen zugemüllt. Doch solche Aktionen fanden ausschließlich zu Hause statt. Außerhalb der eigenen vier Wände haben Herr Chaos und ich wie die Luchse darauf geachtet, dass anderer Leute Eigentum unangetastet blieb. Das gehört sich doch auch so. Sollte man meinen. Leider teilen nicht alle Eltern diese hehre Ansicht.
So wie Birgit und Christopher, die eines schönen Sommernachmittags bei uns mit ihren zwei Söhnen im besten Trotzalter zu Besuch waren. Ich stehe gerade in der Küche und schneide Kuchen in kindgerechte Stücke, als mich ein hohlklingendes, sich rhythmisch wiederholendes Geräusch augenblicklich zurück ins Esszimmer treibt. Und dort, wohl behütet auf Mamas Schoß sitzend, hämmert Thorben, drei Jahre, gerade enthusiastisch und mit viel Hingabe seine Kuchengabel (mit den Zacken voran …) in die bis dato makellose Tischplatte meines geliebten Echtholztisches. Birgit, völlig unbeeindruckt vom Zerstörungswahn ihres Jüngsten, unterhält sich derweil in aller Ruhe mit ihrem Fünfjährigen.
»Na, Lucius, das ist ja mal ein tolles Buch! Aber vielleicht solltest du Josephine erst fragen, bevor du mit dem Kugelschreiber reinmalst …?«
Ja – das wäre wirklich nett gewesen, schließlich hat mich dieser OP-Atlas schlappe 430 Öcken gekostet. Herzlichen Dank!
Auf die klare Ansage hin, dass ich weder die Gabel-Tischplatte- noch die Kugelschreiber-Buch-Aktion gut fände, erhalte ich nur spärlich Verständnis.
»Die Josephine ist ganz schön unnett, was Thorbilein? Dabei hat der Lucius so einen schönen Vollkornkeks gemalt!« Birgit und Thorbilein kräuseln beleidigt die Oberlippe, während sich mir aggressiv die Fußnägel kräuseln.
Doch kommen wir zur nächsten Spezies erzieherischer Spezialisten, nämlich zu den …
Mein-Kind-ist-hochbegabt-Eltern
Lovis-Chantalle-Louisa ist vier und ein Genie. Denn Lovis-Chantalle-Louisa schreibt ihren Namen in krakeliger Kleinmädchenschrift auf die Kinderzimmerwand unseres zu diesem Zeitpunkt ebenfalls vierjährigen Sohnes, der voller Bewunderung daneben steht und sich inständig wünscht, AUCH seinen Namen schreiben zu können. Wenn schon nicht auf die Wand, dann doch vielleicht irgendwo anders hin.
Herr Chaos und ich starren hingegen ein wenig angefressen auf die vormals frisch gestrichene Stelle von der Größe einer Zimmertür, während Sandra, Lovis-Chantalle-Louisas Mutter, wenig beeindruckt aufzählt, was Supertöchterlein noch alles an tollen Begabungen auf Lager hat. Die bekritzelte Wand sei doch lediglich Ausdruck »eines schöpferischen Freigeistes«. Sie würde uns eben ein Becherchen Farbe spendieren, falls wir das Kunstwerk ihrer Tochter ernsthaft zu übermalen gedächten.
Nee, is’
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