Danse Macabre
über den Kampf zwischen Gut und Böse.
Bevor wir von der Religion ablassen und uns ein wenig
über das Gefühl von Paranoia unterhalten, welches für das
ganze Buch von zentraler Bedeutung zu sein scheint, möchte
ich darauf hinweisen, daß Levin zwar oft mit einem hintergründigen Humor schreibt, aber wir dürfen deshalb nicht annehmen, daß er immer da ist. Rosemary’s Baby wurde geschrieben, als der »Gott-ist-tot«-Sturm durch das Wasserglas
der sechziger Jahre tobte, und das Buch behandelt Glaubensfragen auf eine unprätentiöse, aber einsichtige und fesselnde
Weise.
Wir könnten sagen, daß eines der Hauptthemen von Rosemary’s Baby das der urbanen Paranoia ist (im Gegensatz zur
ländlichen oder kleinstädtischen Paranoia, wie wir sie in Jack
Finneys The Body Snatchers finden werden), daß man aber
ein untergeordnetes Thema folgendermaßen darlegen
könnte: Das Schwächen religiöser Überzeugungen ist eine
Türklinke für den Satan, und zwar sowohl im Makrokosmos
(Fragen des Glaubens der Welt) wie auch im Mikrokosmos
(der Zyklus von Rosemaries Glauben, während sie sich vom
Glauben als Rosemarie Reilly zum Unglauben als Rosemarie
Woodhouse und wieder zum Glauben als Mutter desTeufelskindes bewegt). Ich will damit nicht sagen, daß Ira Levin
diese puritanische These glaubt - wenngleich es möglich
wäre, soweit ich weiß. Ich will je doch sagen, daß es einen
schönen Angelpunkt abgibt, auf dem man die Handlung drehen kann, und er spielt gerecht mit dieser Vorstellung und erforscht die meisten ihrer Implikationen. In der religiösen Pilgerfahrt, die Rosemarie durchmacht, liefert Levin uns eine
komisch-ernste Allegorie des Glaubens.
Rosemarie und Guy beginnen als typische Jungverheiratete; Rosemarie praktiziert trotz ihrer strengen katholischen
Erziehung Geburtenkontrolle, beide sind sich darin einig,
daß sie Kinder haben möchten, wenn sie - nicht Gott - zu der
Überzeugung kommen, daß sie bereit sind. Nach Terrys
Selbstmord (oder war es Mord?) hat Rosemarie einenTraum,
in dem sie von der alten Gemeindeschulschwester Agnes gescholten wird, weil man ihretwegen alle Fenster hat zumauern müssen, so daß die Schule nun aus einem Wettbewerb um
die schönste Schule ausscheiden mußte. Aber in diesenTraum
mischen sich echte Stimmen aus der Wohnung der Castevets
nebenan, und wir hören in Wirklichkeit Minnie Castevet, die
durch die Stimme von Schwester Agnes in RosemariesTraum
spricht:
»Irgend jemand! Irgend jemand!« sagte Schwester Agnes.
»Sie muß nur jung, gesund und keine Jungfrau mehr sein.
Sie muß keine süchtige Hure aus der Gosse sein, die zu
nichts taugt. Hab’ ich dir das nicht von Anfang an gesagt?
Irgend jemand! Sie muß nur jung, gesund und keine Jungfrau mehr sein.«
Diese Traumszene erfüllt mehrere nützliche Aufgaben. Sie
amüsiert uns auf eine nervöse, unbehagliche Art und Weise;
sie weiht uns in die Tatsache ein, daß die Castevets irgend
etwas mit dem Tod vonTerry zu tun haben; sie zeigt uns, daß
für Rosemarie stürmische Gewässer in der Zukunft liegen.
Das ist möglicherweise etwas, das nur einen anderen Schriftsteller interessiert - es ist mehr, als würden zwei Mechaniker
sich einen astreinen Vergaser ansehen, nicht wie eine klassische Analyse -, aber Levin macht das so unauffällig, daß es
schon angehen mag, wenn ich den Zeigestock nehme und
sage: »Hier! Hier fängt er an, Ihnen zuzusetzen; dies ist der
Eintrittspunkt, und nun wird er sich nach innen, zu Ihrem
Herzen, vorarbeiten.«
Das Bedeutendste an dieser Szene ist jedoch, daß Rosemarie einen katholisch gefärbten Traum um die Worte gewoben
hat, die ihr Verstand im Halbschlaf mithört. Sie weist Minnie
Castevet die Rolle einer Nonne zu, und das ist sie auch, wenn
auch eine Nonne von schwärzerer Überzeugung als die längst
verblichene Schwester Agnes. Meine Frau sagt weiter, eine
der Grundforderungen der katholischen Kirche, mit denen
sie aufgewachsen ist, lautete: »Gebt uns eure Kinder, und sie
werden für immer unser sein.« Hier paßt der Schuh, und Rosemarie trägt ihn. Und es ist durchaus ironisch, daß es die
oberflächliche Schwächung ihres Glaubens ist, die dem Teufel eine Tür in ihr Leben öffnet …, aber es ist das unverrückbare Muttergestein eben dieses Glaubens, das ihr letztlich gestattet, »Andy« samt Hörnern und allem zu akzeptieren.
So behandelt Levin religiöse Ansichten im Mikrokosmos an der Oberfläche ist Rosemarie eine typische moderne,
junge Frau, die direkt ausWallace Stevens’ Gedicht
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