Dante Valentine 04 - Suendenpfuhl
Sache war keinen Kampf wert. Abgesehen davon wollte ich Selene und Nikolai sowieso treffen.
18
Das Nest lag in der Innenstadt an der Ninth, in einem Gebäude, das wie ein renoviertes Mietshaus aussah und mitten auf dem parkähnlichen Grundstück völlig unpassend wirkte – eine erstklassige Innenstadtimmobilie, auf der ein Nichtvren ein Eigenheim wie in einem Vorort errichtet hatte. Andererseits war Nikolai der Primus der Stadt; er konnte es sich leisten. Von ihm wurde ein beeindruckender Unterschlupf erwartet.
Die Flure lagen dunkel und friedlich da. Es roch nach Zitronenöl, Bienenwachs, Politur und dem verführerischen Duft, den Nichtvren ausströmen. Dieser Duft ist äußerst süß – vielleicht liegt es an dem zerfallenden Blut. Aber er enthält auch eine Spur von sündiger dunkler Schokolade, Wein und heimlichem Sex. Mein Professor für „paranormale Anatomie“ an der Akademie hatte die Nichtvren einmal als die „Zuhälter der Schattenwelt“ bezeichnet. Kurz darauf hatte man ihn rausgeworfen. Ich nehme an, Doktor Tarridge hatte ein Hühnchen mit den Nichtvren zu rupfen.
Das ging vielen Leuten so.
Der Umhang aus Psinergie, der das Nest einhüllte, war kalt und kratzig, voller Abwehrkraft und durchwoben von dem Willen eines Meisters. Meine Schutzschilde zogen sich zusammen, und meine taube Schulter fing warnend an zu prickeln.
Ich konnte niemanden entdecken, war mir aber sicher, dass wir beobachtet wurden. Als Tiens eine Doppeltür aus Mahagoni öffnete und mich in einen von einem Feuer erhellten Saal mit Parkettboden führte, der aus der Renaissance hätte stammen können, musste ich das Bedürfnis unterdrücken, höhnisch zu klatschen. Meine Augen fühlten sich heiß und geschwollen an, meine Schultern waren verkrampft, und ich hatte Hunger. Vorher war mir das nicht aufgefallen, aber jetzt, als der Adrenalinausstoß allmählich nachließ, wurde ich daran erinnert, dass ich schon eine ganze Zeit lang nichts mehr gegessen hatte. Anders als Japhrimel brauchte ich richtige Nahrung.
Hörst du jetzt endlich auf, dauernd an ihn zu denken! Ihm geht es gut, er kann selbst auf sich aufpassen. Außerdem hat er dich hei McKinley zurückgelassen. Also kann er sich keine allzu großen Sorgen um dein Wohlergehen gemacht haben.
Vor dem Feuer stand eine große, breitschultrige Gestalt, deren Hände anmutig herabhingen. Selene, die Gemahlin des Primus, fläzte sich in einem riesigen, mit rotem Samt gepolsterten Ohrensessel, ein Bein über der Armlehne, den Kopf an der hohen Rückenlehne. Als wir näher kamen, glitt sie auf die Füße und zog mit einer geschickten Bewegung den Saum ihres schwarzen Sweatshirts nach unten. „Valentine.“ Es gelang ihr, gleichzeitig erfreut und missbilligend zu klingen. „Danke, Tiens.“
Er machte eine Verbeugung. Ihm fehlte nur noch ein Hut mit Feder, wie in den alten Dumas-Holovids mit Bel Percy. „Stets zu Diensten, Demoiselle.“
Nikolai rührte sich. Er war ein ziemlich großer, männlicher Nichtvren mit dunklen Augen, einer dichten Mähne weichen dunklen Haars und einem Gesicht, wie es vielleicht ein alter Meister gemalt hätte: ein breiter, voller Mund, der jetzt zu einer dünnen Linie zusammengezogen war, schön geschnittene Wangenknochen, geschwungene dunkle Augenbrauen. Ein Engelsgesicht, gemeißelt in alten Stein aus der Renaissance. Nicht so geschlechtslos oder fremd, wie Dämonengesichter manchmal wirkten. „Ich nehme an, dieses Chaos habe ich dir zu verdanken, Dämonling.“ Sein Blick verdüsterte sich.
Ein zertrümmertes Hotelzimmer ist für dich schon Chaos? Weiß er über Gabe Bescheid? „Zwei meiner Freunde sind ermordet worden, und auf meinen Kopf ist ein Preis ausgesetzt, den es nicht geben sollte“, antwortete ich scharf. „Wenn es Chaos gibt, ist das nicht meine Schuld. Sie hatten versprochen, auf Gabe aufzupassen.“
Es war nicht direkt ein Versprechen gewesen, aber er hatte ihr eine Credit-Münze geschickt, mit der sie jederzeit Zugang zu seinem Bürogebäude in der Innenstadt bekam, falls sie in Schwierigkeiten steckte. Und ich hatte mich nach der ganzen Sache mit Mirovitch darauf verlassen, dass Nikolai und Selene auf Gabe aufpassen würden. Nikolai nahm es nicht auf die leichte Schulter, wenn Sexhexen angegriffen wurden – Selene war eine gewesen, bevor sie sich verwandelt hatte. Ich wollte gar nicht wissen, was für eine Geschichte sich dahinter verbarg. Ich wollte nur herausfinden, warum der Nichtvren nicht eingeschritten war und Gabe
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