Danyel - Mit dem Schicksal lässt sich handeln
Abbildungen, dennoch war alles gut erkennbar gewesen. Kilian
bezweifelte, dass der unveränderte Eindruck sich auch im Inneren fortsetzen
würde.
‚Eine bauliche Meisterleistung!‘, dachte er ehrfürchtig.
Nun, wo er beinahe davor stand, konnte er verstehen, weshalb dies der Hauptsitz
der katholischen Kirche gewesen war. Nicht, dass er deren Struktur je
verstanden hätte, aber das musste er ja auch nicht. Eines wusste er allerdings
mit Sicherheit – das Schicksal hatte sich diesen Ort nicht ohne Grund
ausgesucht. Allein der Vorplatz und die Gebäudefronten beeindruckten. Er war
gespannt, ob das Innere so imposante Schätze barg wie die Kirche, die er
besucht hatte. Oder ob alles entsorgt wurde …
Der Verkehr stockte etwas, sodass Kilian sich
zwischen den Fahrzeugen hindurch seinen Weg über die Straße bahnte. Mit wenigen
Schritten erreichte er den Platz und ließ den Blick schweifen. Einige Leute
tummelten sich auf und um den Platz. Manche davon überquerten ihn mit eiligen
Schritten, andere betrachteten so wie Kilian das Bauwerk.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er noch
genügend Zeit hatte. Bis zu seinem Termin blieb ihm noch eine Stunde. Langsam
schlenderte an der linken Rundung entlang und konnte sich nicht sattsehen. Jede
der weißen Säulen war gleich. Sie wirkten gepflegt, so wie der Boden, auf dem
er lief. Kein Unrat, keine Schlieren und kein Unkraut in den Fugen. Es schien
ihm, als wäre die Säule in der Mitte des Platzes das einzig Zerstörte.
Nachdem er die Rundung hinter sich gelassen
hatte, lief er an den kleinen Gebäuden entlang. Vor ihm lag der Durchgang,
welcher in den hinteren Bereich führte. Kilian wusste, dass dieser früher nicht
öffentlich gewesen war. Trotz seiner Neugier traute er sich nicht, auf
Erkundungstour zu gehen. Er wollte nicht riskieren, sich in den Gängen zu
verirren oder sich zu weit vom Portal zu entfernen. Lieber vertrieb er sich die
Zeit im vorderen Teil, als dass er zu spät kam.
Mit jeder Minute, die verging, wurde er
nervöser. Es hing alles davon ab, ob das Schicksal einen guten Tag hatte –
sollte dem nicht so sein, könnte Kilian vermutlich sagen, was er wollte, ohne
dass es etwas bringen würde. Der Zeiger auf seiner Uhr näherte sich rasant der
Drei, während er unruhig in dem offenen Bereich vor der Haupttür auf und ab
lief.
‚Die Hoffnung stirbt zuletzt‘, dachte er und
fand das Sprichwort auch heute noch passend. Jeder Mensch hatte die Chance, das
Beste aus seinem Leben zu machen. Und wenn er nicht den Versuch unternahm, das
Beste für seine Schwester herauszuschlagen, wäre er für den Rest seines Lebens
unglücklich. Seit Monja geboren wurde, verband sie beide ein ganz besonderer
Draht. Die fünf Jahre Altersunterschied zwischen ihnen hatten dem keinen
Abbruch getan. Kilian liebte seine kleine Schwester abgöttisch und stellte ihr
Wohl über seines. Das hatte nichts mit ihren Lebensweisen zu tun, auch nichts
mit seiner sexuellen Orientierung. Er wollte einfach nur das Beste für seine
kleine Schwester. Als sie klein war, nannte er sie meist Prinzessin. Dann kam
sie in die Pubertät und bat ihn, das nicht mehr zu tun und diesen Wunsch hatte
er ihr sofort erfüllt. Nicht eine Sekunde dachte er darüber nach, was sie
wollte oder fühlte. Er verbot sich, seine Gedanken in diese Richtung wandern zu
lassen. Dass sie wohlmöglich unglücklich wäre, sollte der Tausch der Lebenszeit
vollzogen werden und er vor ihr starb. Dann müsste nicht er ohne sie
weiterleben, sondern sie ohne ihn.
Eine Minute vor drei stellte er sich vor die
große Tür. Die Bestätigungskarte hielt er in der Linken, mit der Rechten
klopfte er. Es dauerte bloß einen Moment, dann wurde geöffnet.
Ein Mann in einem perfekt sitzenden schwarzen
Anzug öffnete ihm. Er mochte vielleicht Mitte dreißig sein und Kilian fand ihn
sehr attraktiv. Ob das der Anzug war oder sein freundliches Gesicht?
„Prego?“, fragte er.
Mangels italienischen Wortschatzes hielt Kilian
ihm seine Karte hin.
„Si, per favore“, erwiderte der Mann und
deutete mit einer Geste ins Innere.
Kilian trat über die Schwelle und das Herz
klopfte ihm erneut bis zum Hals. Der Kerl im Anzug führte ihn mit ausladenden
Schritten. Die Absätze der Schuhe tönten leicht auf dem Boden, der
glücklicherweise völlig anders aussah, als in Kilians Albtraum. So wie der
Rest.
Wohin er seine Blicke zuerst lenken sollte,
wusste er nicht. Er sah hin und her und fand nicht einen winzigen Hinweis
darauf, dass
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