Daphne - sTdH 4
der glücklichste Mann in London zu sein schien. Sie und Mrs.
Armitage beobachteten schweigend, wie die Kutsche des Marquis abfuhr, und
betraten dann das große dunkle Haus.
Aus dem
Salon hörten sie bereits das kräftige Brüllen des Säuglings.
Die schöne,
leichtlebige Annabelle war nicht wiederzuerkennen. Ihr blondes Haar hing
strähnig herab, ihr Gesicht war spitz geworden. Sie ging das schreiende Kind
wiegend auf und ab, während die Kinderfrau, Mrs. Arbuckle, vergebliche
Anstrengungen unternahm, ihr das Baby abzunehmen.
Daphne
hatte das unangenehme Gefühl, daß Baby Charles die Art Kind war, die nur eine
Mutter lieben konnte. Wenn sein Gesicht nicht gerade vom Schreien gerötet war,
war es dunkel vor Zorn. Sie konnte sich auch nicht erinnern, je ein Baby mit
einer solch niedrigen Stirn gesehen zu haben. Es hatte dicke schwarze drahtige
Haare und derbe Fäustchen, die es im Moment seiner Mutter ins Gesicht stieß.
»Ach, da
seid ihr ja«, seufzte Annabelle, gab sich geschlagen und reichte Mrs. Arbuckle
den Jungen, die ihn schnellstens aus dem Zimmer trug.
Vielleicht
lag es daran, daß man so spät erfahren hatte, daß Annabelle schwanger war, und
man sich deshalb so wenig daran gewöhnen konnte, daß sie Mutter war, aber
irgendwie erschien einem der kleine Charles wie ein gefräßiger Kuckuck im
Brabington-Nest.
Annabelle
hatte sich sechs Monate vor der Geburt des Babys aufs Land zurückgezogen, womit
sie zeigte, daß sie entschlossen war, ein gesundes Kind auf die Welt zu
bringen, denn nichts sonst hätte Annabelle dazu bringen können, so lange auf
die Londoner Gesellschaft zu verzichten. Sie hatte ein ganz ruhiges Leben geführt
und sich sogar geweigert, Minerva zu empfangen. Obwohl sie allen ihren Schwestern
regelmäßig geschrieben hatte, erzählte sie ihnen erst zwei Monate bevor es
soweit war, daß sie ein Baby erwartete.
Daphne
machte sich Vorwürfe, daß sie so schlecht über ihren kleinen Neffen dachte, und
lächelte ihre Schwester an.
»Ist das
Wetter nicht furchtbar? Ich fühle mich zum Auswinden«, stöhnte Annabelle und
ließ sich nicht gerade elegant in einen Sessel plumpsen. »Setz dich doch,
Mutter. Daphne, klingele bitte nach dem Tee.«
Daphne zog
an der Klingelschnur, und Annabelle musterte das schöne Gesicht, das modische
Kleid und das kunstvoll arrangierte Haar ihrer Schwester.
»Du meine
Güte«, seufzte Annabelle, »wenn ich denke, daß ich einmal die Schönste in der
Familie war... Du warst auch immer in Ordnung, Daphne, aber kein Mensch hätte
gedacht, daß du zu einer solchen Schönheit aufblühen würdest.«
»Mr. Simon
Garfield wird hier vorbeikommen, um sie zur Parade im Hyde Park abzuholen«,
sagte Mrs. Armitage stolz.
Annabelles
blaue Augen blitzten belustigt auf. »Mr. Garfield? Ein Mann von Welt, der im
Geld schwimmt. Da wird sich Papa aber freuen. Abgesehen davon, daß ich gehört
habe, daß sich Mr. Garfield in allen Sportarten außer in der Fuchsjagd
hervortut.«
»Annabelle«,
sagte Daphne bekümmert. »Brabington ist gerade weggefahren, als wir ankamen. Er
ist aufs Land gefahren.«
»Das weiß
ich, du dummes Gänslein.«
»Aber...
aber ich finde es seltsam, daß du nicht mit ihm gehst.«
Annabelle
lachte schrill: »Ich war einmal wie du, Daphne, ganz versponnen in den jungen
Traum der Liebe. Mr. Garfield hat wohl dein Herz erobert.«
»Nein,
Annabelle. Ich bin so gut wie verlobt mit Mr. Archer.«
»Cyril Archer? O Daphne,
wie langweilig! Mr. Garfield sieht so aus, als sei er viel aufregender.«
»Ich will
aber gar nicht aufgeregt werden«, antwortete Daphne ärgerlich.
»Nun, wir
werden sehen«, grinste Annabelle und fügte gleich wehmütig hinzu: »Mach das
Beste draus.« Sie zuckte die Achseln. »Nichts hat Bestand.«
Daphne sah
Mrs. Armitage hilfesuchend an. Sie mußte doch merken, daß Annabelle und ihr
Mann heillos zerstritten waren. Aber Mrs. Armitage begann traumverloren über
Mr. Garfields Vorzüge zu sprechen, bis sogar Annabelle die Geduld verlor und ihre Mutter
sarkastisch fragte, ob sie nicht vielleicht selbst Mr. Garfield heiraten wolle.
Das
Teetablett wurde hereingebracht und Mrs. Armitage damit einer Antwort enthoben.
Daphne
dachte krampfhaft über ein ungefährliches Gesprächsthema nach und erzählte
Annabelle schließlich von Bettys Kummer. »Ich bin überzeugt davon, daß es
nicht die Kopfschmerzen waren, weißt du«, beendete Daphne ernst ihren Bericht.
»Ich bin überzeugt davon, daß es mit Betty und John Summer zu tun hat.
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