Daphne - sTdH 4
ihnen
tierüberschaute.
»Helfen Sie
mir auf, Mr. Garfield«, sagte Daphne eisig. »Ich hole mir noch den Tod.«
Er stand
auf und zog sie hoch. Dann hob er sie auf und trug sie auf dem Arm auf das Tor
zu.
»Lassen Sie
mich runter«, bat Dahne schwach.
»Wenn wir
trockenen Boden unter den Füßen haben.«
»Sie hätten
mich nicht küssen sollen.«
»Die
Versuchung war zu groß. Sie hätten nicht in den Morast fallen sollen. Sie sahen
so herrlich hilflos aus.«
»Sir,
vergessen Sie nicht, daß ich so gut wie verlobt mit Mr. Archer bin.«
»Ach
wirklich? Küßt er sie so... und so... und so?«
»Oh, Mr.
Garfield. Das dürfen Sie nicht. Lassen Sie mich runter. Oh, Mr. Garfield.«
Schließlich
löste er seine Lippen von den ihren und lächelte auf ihr bekümmertes,
verschrecktes Gesicht herab.
»Ich werde
es meinem Vater erzählen«, flüsterte Daphne.
»Der entzückt wäre.«
»Nein, das
wäre er nicht«, sagte Daphne, die ihre Haltung wiedergewann, als sie bei den
Parktoren angekommen waren und er sie herabließ. »Er wäre äußerst schockiert,
daß mich ein Gentleman zum Gegenstand einer solchen... solchen...«
»Überschäumenden
Höflichkeit ...«
»Demütigung
macht. Derartige Vertraulichkeiten, Sir, sollten Eheleuten vorbehalten
bleiben.«
Mr.
Garfield sah sie ganz überrascht an. Er nahm ihren Arm und führte sie über das
regennasse Pflaster. Ihm war gerade klargeworden, daß er sich wirklich sehr
schlecht benommen hatte. Wenn er sie nicht heiraten wollte, tat er gut daran,
sich zu entschuldigen und zu versuchen, sie davon zu überzeugen, daß er nicht
ganz bei Sinnen gewesen war. Wenn sie es ihrem Vater erzählte, würde der gute
Pfarrer bald mit dem Trauschein in der einen und dem Gewehr in der anderen
Hand bei ihm auftauchen.
»Es tut mir
wirklich leid«, sagte er unvermittelt. »Ich wollte mich Ihnen gegenüber nicht
so benehmen. Ich habe heute mittag zuviel Wein getrunken, und dieser ist mir
zusammen mit Ihrer Schönheit
zu Kopf gestiegen. Bitte vergeben Sie mir, und vergessen Sie die ganze
unschöne Geschichte. Kommen Sie! Schenken Sie mir ein Lächeln, Daphne. Ich will
auf Ihrer Hochzeit mit Mr. Archer tanzen.«
Daphne
lächelte schwach und murmelte, daß sie ihm verzeihe. Sie fühlte sich auf einmal
niedergeschlagen und elend, und ihr war so kalt. Sie wollte sich nur noch daheim
ins Bett legen und die Decke über den Kopf ziehen und nie, nie wieder
hervorkommen, bis es Zeit war, nach Hopeworth zurückzukehren.
Mr.
Garfield brachte sie nach Hause und verabschiedete sich bereits auf den Stufen
zur Eingangstür mit einer steifen Verbeugung, bevor er mit langen Schritten
wieder in den Regen hinausging.
Daphne ging
langsam ins Haus.
Erst als
sie in ihrem Zimmer war, merkte sie, daß sie immer noch seinen Rock über den
Schultern trug.
Hochwürden Charles Armitage war zutiefst
niedergeschlagen. Er hatte solche Hoffnungen in Mr. Garfield gesetzt. Seine
Frau hatte ihm versichert, daß es durchaus im Bereich des Möglichen lag, daß er
Daphne heirate. Und jetzt war der verflixte Kerl nirgends zu finden.
Seit dem
Tag im Park war eine Woche vergangen, und die Familie Armitage hatte Daphne zu
jedem gesellschaftlichen Ereignis geführt, das London außerhalb der Saison zu
bieten hatte. Zwar war Mr. Archer überall, aber Mr. Garfield war nirgends.
Daphne
schien sich in Mr. Archers Begleitung vollkommen wohl zu fühlen und hatte ihre
starre Gelassenheit wiedergefunden. Ihr Gesicht war so untadelig wie
ausdruckslos. Schließlich erinnerte sich der Pfarrer an sein Gebet und
beschloß, Daphne seinen Segen zu geben.
Die Ernte
war ausgezeichnet gewesen. Finanziell ging es ihm wirklich gut. Wenn Mr. Archer
das war, was Daphne wollte, dann sollte sie ihn haben. Mr. Armitage mochte Mr.
Archer nicht, aber er hielt ihn für ganz harmlos. Vielleicht hätte Squire
Radford, wäre er da gewesen, dem Pfarrer den Rat gegeben, bis zum nächsten Jahr
zu warten. Aber Hochwürden hatte ständig ein schlechtes Gewissen wegen seiner
größten Charakterschwäche, der Habsucht, und wenn er Daphne den Mann, den sie
wollte, heiraten ließ, war das eine ausgezeichnete Möglichkeit, den zürnenden
Gott, der da irgendwo in den Wolken thronte, zu besänftigen.
Die
primitive Seele des Pfarrers war nur notdürftig mit einer ganz dünnen Schicht
Zivilisation bedeckt, und deshalb glaubte er tief in seinem Inneren – wenn er
überhaupt an etwas glaubte – an einen zornigen Gott, dem man Weihegaben und
Opfer bringen mußte:
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