Daphne - sTdH 4
überflog den Inhalt. »Sie will noch länger in Brighton
bleiben. Carina und Harry sind nach Frankreich aufgebrochen. Frankreich. Pah!
Ich möchte bloß wissen, was es in Frankreich gibt, was man in England nicht
auch haben kann.«
»Gutes
Essen und schöne Kleider.«
»Sei nicht
unverschämt. Laß sehen, was sie noch schreibt. Dem kleinen Julian geht es gut.
Peregrine und James geht es auch gut. Mmmm. Ah, sie fragt an, ob du sie ein
paar Tage besuchen willst, bevor du nach Hopeworth zurückgehst.«
Daphne
überlegte, daß es durchaus etwas für sich hatte, aus London zu entfliehen. Sie
müßte nicht mehr Mr. Archer zuhören, wie er sich über den Sitz seiner
Halskrause Gedanken machte, und sie müßte keinen Salon mehr betreten, halb
fürchtend, halb hoffend, daß Mr. Garfield, der sie so verunsicherte, anwesend
sei.
»Ich würde
sehr gerne hinfahren.«
»Ich werde
mit Mrs. Armitage reden. Und jetzt raus mit dir. Annabelle werde ich aufsuchen
und sehen, was sich machen läßt.«
Der
Pfarrer war
erleichtert, Annabelle beinahe in alter Schönheit vorzufinden, wenn ihr Gesicht
auch eine Spur zu schmal war und unter ihren Augen Schatten lagen. Aber es
ärgerte ihn, daß sich Mr. Archer in ihrem Salon breitgemacht hatte. Annabelle
hat schon immer gern geflirtet, überlegte der Pfarrer mißgestimmt, aber mit Mr.
Archer ging sie entschieden zu weit.
Er richtete
einen nichts Gutes verheißenden Blick auf den wieder wie aus dem Ei gepellten
jungen Mann.
»Ich möchte
gerne«, grollte er, »unter vier Augen mit meiner Tochter sprechen, daher –«
»Aber ich
wollte mit Lady Brabington eine Ausfahrt machen!«
»Haben Sie da nicht die
falsche Tochter erwischt?«
»Mr.
Armitage, Daphnes Schwestern sind mir ebenso lieb und wert wie diese selbst.«
»Miss Daphne für Sie«, schnauzte ihn der
Pfarrer an. »Also gut. Seien Sie so freundlich und warten Sie in Ihrer
Kutsche.«
Mr. Archer
machte eine formvollendete Verbeugung und schlenderte hinaus.
»Was ist
mit dir los?« fragte der Pfarrer.
Annabelle
fächelte sich Luft zu. »Nichts«, sagte sie obenhin. »Ich langweile mich, das
ist alles, und ich finde, Mr. Archer ist ein so zurückhaltender junger Mann.«
Mr. Archer,
der noch in der Halle stand und seine Handschuhe überstreifte, hörte seinen
Namen und beschloß, zu lauschen.
»Ich habe
Daphne gesagt, daß sie ihn heiraten kann, wenn sie will«, hörte er den Pfarrer
sagen. Mr. Archer lächelte zufrieden in sich hinein.
Annabelles
Antwort war nicht zu verstehen.
»Seltsam«,
kam wieder die Stimme des Pfarrers, »denn ich hätte schwören können, daß ihr
Garfield nicht schlecht gefallen hat. Aber was höre ich von dir? Daphne hat
behauptet, du hättest Garfield schöne Augen gemacht.«
»Die
eifersüchtige Katze«, schimpfte Annabelle. »Es war umgekehrt. Mr. Garfield
konnte seine Augen nicht von mir lassen. Du weißt, wie die Männer sind, Papa.«
»Du bist
nicht übel, das kann ich dir bestätigen«, sagte der Pfarrer brutal, »aber kein
Mann, der seine fünf Sinne beisammen hat, schaut eine verheiratete Frau mit
einem brüllenden Säugling an, wenn im selben Raum so eine Schönheit wie Daphne
ist.«
»Ich gelte
als die Schönste in der Familie«, sagte Annabelle.
»Tja, das
war einmal, bevor Daphne dich übertroffen hat. Mach dir nichts draus. Was ich
wissen will, ist, warum du mit Brabington Krach hattest und warum du so
unglücklich bist.«
»Ach, das
ist ein dummer Ehekrach«, sagte Annabelle. »Ich bin unglücklich, weil ich mich
langweile.«
»Du
langweilst dich!« war die gereizte Stimme des Pfarrers ganz deutlich durch die
Tür zu hören. »Du bist ein dummes verzogenes Gör, und ich will dir die Wahrheit
sagen. Ich weiß, was Brabington quält. Es ist die Tatsache, daß ich dir ein
Kind verschaffen konnte, und er nicht! Du mußt die Sache nur endlich einmal
eingehend mit ihm besprechen.«
Mr. Archer
stand ganz still mit vor Schreck geweiteten Augen da. Dann rannte er schnell
aus dem Haus und setzte sich in die Kutsche. Sein Herz klopfte heftig. Das war
eine aufregende Neuigkeit!
Inzest!
So etwas
hatte London seit dem Skandal, den Lord Byron entfesselt
hatte, nicht mehr zu hören bekommen.
Mr. Archer
zwang sich zur Ruhe. Dieses Wissen konnte sich als sehr nützlich erweisen. Ihm
war sehr daran gelegen, Daphne Armitage zu heiraten, weil er an ihr eine
sexuelle Kälte und Reinheit zu verspüren glaubte, die ihn ungeheuer ansprach.
Die Familie Armitage war in der Gesellschaft durch die
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