Daphne - sTdH 4
Manchmal war er dem Pfarrer wirklich ganz unverständlich,
weil er nicht einmal die regelmäßig wiederkehrende Opfergabe von toten Füchsen
zu schätzen schien.
Als deshalb
Woche auf Woche ohne ein Lebenszeichen von Mr. Garfield verstrich, ließ der
Pfarrer Daphne zu sich bitten und teilte der völlig verdutzten jungen Dame mit,
daß sie jederzeit den Mann ihrer Wahl heiraten könne.
Dann saß er
da und beobachtete Daphnes Gesicht. Er hatte das Gefühl, daß es nie so schön
oder auch so leer gewesen war.
Daphne war
zutiefst erschrocken. Ein Mr. Archer, der eine verbotene Frucht war, war
ausgesprochen reizvoll. Ein Mr. Archer, der von der Familie akzeptiert wurde,
stand auf einem anderen Blatt. Auf der anderen Seite hatte Mr. Garfield sie
geküßt und war dann verschwunden.
Sie empfand
sein Verschwinden geradezu als Beleidigung. Daphne hatte inzwischen einigen
Klatsch über Mr. Garfield gehört. Er schien ein überzeugter Junggeselle zu
sein, aber das hatte ihn nicht daran gehindert, »einigen dummen kleinen Mädchen
das Herz zu brechen«. Ihre Verlobung mit Mr. Archer würde diesem eiskalten Mann
beweisen, daß sie sich nichts aus ihm machte. Was wahr ist, dachte Daphne
wütend. Auf der anderen Seite, wenn sie Mr. Archer heiratete, dann würde sie
nie eine Saison als Debütantin erleben – mit all den Bällen und Gesellschaften
und hübschen Kleidern. Sie würde eine alte Frau sein, die vorm Kaminfeuer sitzt
und verständnisvoll den Auslassungen ihres Gatten über die beste Methode,
Weinflecken aus Seide zu entfernen, lauscht.
Laut sagte
sie: »Mama und Annabelle werden ziemlich enttäuscht sein. Sie wollten so
gerne, daß ich Mr. Garfield heirate.«
»Es sieht
ihnen gar nicht ähnlich, daß sie sich für etwas anderes als sich selbst
interessieren«, bemerkte Hochwürden.
»Nun, wenn
man jemanden nicht selbst heiraten kann, ist es das zweitbeste, ihn in der
Familie zu haben«, sagte Daphne mit ungewohnter Boshaftigkeit. »Mama war geradezu
schockierend. Ich hatte schon die Befürchtung, daß du Mr. Garfield zum Duell
fordern müßtest.«
»Was?!« Der
überraschte Ausdruck auf dem Gesicht des Pfar rers machte schnell einem
breiten Grinsen Platz. »Du ungezogenes Kätzchen. Deine Mama hat niemals in
ihrem ganzen Leben einen Mann auch nur interessiert angeschaut – nicht einmal
mich.«
»Oh, man
mußte es mit eigenen Augen sehen, um es zu glauben«, sagte Daphne zuckersüß,
»und Annabelle schämte sich nicht, ihn zu bitten, sie auch mit in den Park zu
nehmen. Zwar hatte Mama dasselbe auch versucht, aber bei Annabelle ist das etwas
anderes. Sie ist noch jung, auch wenn manche Leute meinen, daß man mit
einundzwanzig schon auf die Lebensmitte zugeht, und sie sieht gar nicht mehr so
gut aus wie früher, und deshalb war es ziemlich traurig, mit anzusehen, wie sie
sich vor einem anderen Mann lächerlich machte.«
Daphne
senkte die Augenlider und strich ein Fältchen in ihrem Rock glatt.
Der Pfarrer
musterte seine schöne Tochter aufmerksam. »Du hast doch früher nie
geschwindelt, Daphne. Annabelle liebt ihren Mann. Sie hat ein neugeborenes
Baby...«
»Sie
vergöttert das Baby.« Daphnes besseres Selbst gewann die Oberhand über ihre
unbewußte Eifersucht, und sie sagte impulsiv: »O Papa, Annabelle ist so
unglücklich, und Brabington ebenfalls. Irgend etwas stimmt da nicht. Bitte geh
hin und schau dir das an.«
»Ja, ja«,
sagte der Pfarrer. »Aber du hast dich überhaupt nicht bei mir bedankt.«
»Wofür?«
»Dafür, daß
ich dir erlaube, diesen Nichtsnutz Archer zu heiraten.«
»Warum
drängst du so darauf, mich zu verheiraten, wenn du den Gentleman nicht magst?
Er ist nicht reich.«
»Frauen!«
stöhnte der Pfarrer. »Wenn du ihn nicht heiraten willst, dann hör auf, ihm
Hoffnungen zu machen.«
»Aber ich
will ihn ja!«
»Ich habe
nicht den Eindruck«, entgegnete Mr. Armitage und wurde plötzlich mißtrauisch.
»Es hat doch nichts mit Garfield zu tun?«
»Natürlich
nicht!«
»In den
Clubs macht eine Geschichte über den Tag, an dem die Parade stattfand, die
Runde. Einer, der zur Creme de la Creme gehört, lag angeblich im Morast und
küßte eine junge Dame. Du bist von oben bis unten verschmutzt nach Hause
gekommen. Das warst doch nicht etwa du?«
»Papa!«
»Nein, ich
habe es auch gar nicht geglaubt.«
Die Tür
öffnete sich, und der Butler kam mit der Post herein.
Der Pfarrer
ging langsam die Briefe und Karten durch. »Hier ist ein Brief von Minerva.« Er
erbrach das Siegel und
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