Daphne - sTdH 4
Obwohl sich der Pfarrer nach außen den
Leuten, die den Ton angaben, anschloß und den Pavillon ablehnte, hielt er ihn
doch für »ein verdammt schönes Kunstwerk« und fand ganz allgemein insgeheim
die meisten Dinge, die als geschmackvoll galten, todlangweilig. Daphne war
eine dankbare Begleiterin. Sie war beim ersten Anblick des Meeres grenzenlos
begeistert. Ihre Augen wanderten von den stattlichen Häusern, die frisch
gestrichen im Sonnenschein schimmerten, zu den farbigen Reihen der
Badehäuschen am langen Fels- und Kiesstrand.
Alles
schien im hellen Licht zu flattern und zu tanzen, von den Musselinröcken der
Damen angefangen bis zu den Segeljachten, die auf der unglaublich blauen
Wasserfläche auf und ab schaukelten.
Der Pier
ruhte auf so zierlichen Pfählen, daß er etwas von der dürren Eleganz eines
Reihers an sich hatte, der grazil in die See hinausstakst.
Die Luft
wirkte wie ein Aphrodisiakum, auch wenn Daphne das Wort nicht kannte und
deshalb auch nicht verstand, warum Mr. Garfields unzugängliches Gesicht immer
wieder vor ihrem geistigen Auge auftauchte und die heitere Umgebung aus ihrem
Bewußtsein drängte.
Ihre
Schulzeit lag noch nicht allzulange hinter ihr, und wie ein Kind bat sie ihren
Vater: »O bitte, ich möchte soo gerne baden.«
»Natürlich«,
sagte der Pfarrer bereitwillig. »Vielleicht probiere ich es selbst einmal.« Er
war jedoch froh, daß die männlichen Badegäste dem unschuldigen, staunenden
Blick seiner Tochter entzogen waren, denn kein normaler Mann hatte etwas an,
wenn er ins Wasser ging, während die Damen von Kopf bis Fuß in Flanell gehüllt
waren.
Minervas
Haus hatte Blick aufs Meer. Es war ein großes weißgestrichenes Gebäude mit
grünen Fensterläden und schwarzen Eisenbalkonen.
Zu ihrer
Erleichterung fand Daphne Minerva so vor wie immer. Sie und ihr Mann liebten
sich sehr, und sie gestand ihnen scheu, daß sie ihr zweites Kind erwarte.
Julian war
ein rundlicher, kräftiger kleiner Junge mit gutmütigem Charakter. Er himmelte
seine jungen Onkel, die Zwillinge Peregrine und James, an, die ihre gerade
erworbenen Gentlemanmanieren vergaßen und zum Vergnügen Julians über den Boden
kugelten. Sie benahmen sich ganz wie Schuljungen, die sie ja schließlich auch
waren.
Minervas
Haushalt hatte etwas so Heiteres und Harmonisches und Normales an sich, Daphne
spürte, wie alle ihre Kümmernisse verflogen. Sie war wieder das Kind, dem
Minerva die Sorgen abnahm und strenge Lehren erteilte. Die alte
besserwisserische Minerva gab es allerdings nicht mehr, und ihr ausgeglichenes
Wesen ließ sie wie ein Fels in der Brandung erscheinen.
Als Daphnes
Sachen ausgepackt waren, stimmte Minerva entzückt Daphnes Vorschlag zu, einen
Spaziergang zu machen. Sie freute sich über die Gelegenheit, mit ihrem Sohn an
die frische Luft zu kommen. Der kleine Julian wurde in sein Wägelchen gesetzt
und betrachtete zufrieden die sommerliche Szene. Seine Augen waren groß und
grün wie die seines Vaters.
Daphne
erregte viel Aufmerksamkeit bei den jungen Männern von Welt. »Wir werden dich
noch bevor du Brighton verläßt, verheiratet haben«, neckte Minerva sie.
»Ich habe
schon den Mann gefunden, den ich heiraten werde«, antwortete Daphne und
wunderte sich, daß der heitere Schauplatz etwas von seinem Glanz zu verlieren
schien.
Minerva
begann ihre Schwester neugierig mit Fragen zu überschütten, machte sich aber
zunehmend Sorgen über Daphnes geringe Begeisterung.
»Daphne,
meine: Liebe«, sagte sie zögernd. »Papa nimmt manchmal zuviel in die Hand. Du
darfst dich nicht zu einer Ehe drängen lassen, die du nicht willst. Wenn dir
alles zuviel wird, dann kannst du zu mir ziehen.«
»Ich will
Mr. Archer aber heiraten«, antwortete Daphne mit trauriger leiser Stimme. »Papa
war erst gegen die Verbindung, hat dann aber seine Meinung geändert.«
»Vielleicht
bist du von der Reise müde?« vermutete Minerva. »Du machst überhaupt keinen
freudigen Eindruck. Vielleicht solltest du mit deiner Verlobung bis nach der
Saison warten. Du bist noch sehr
jung und kannst noch gar nicht viele passende Männer kennengelernt haben.«
»Ich glaube
nicht, daß Mr. Archer so lange warten will.«
»Das
überrascht mich nicht«, bemerkte Minerva trocken. »Du bist ein sehr attraktives
Mädchen, und er weiß natürlich, daß du viel Aufmerksamkeit erregen wirst, wenn
du in die Gesellschaft eingeführt wirst. Es ist auch nicht nur eine Frage von
Papas Einverständnis. Sylvester und deine anderen Schwäger haben
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