Daphne - sTdH 4
distanziert und sehr, sehr modisch.
Sie schien nicht nur an seinen seltenen und keuschen Liebkosungen uninteressiert
zu sein, sondern sie schrak geradezu vor ihnen zurück. So kam er schließlich
zu dem nicht ganz klar gefaßten Schluß, daß es reizvoll wäre, zu den Alvaneys
zu gehen, und daß Daphne bei Lady Godolphin gut aufgehoben war. Er ließ sich
bei seiner Wohnung absetzen und hätte beinahe vergessen, die Hand zum Abschied
zu heben, so vertieft war er bereits in die Planung seiner Abendtoilette.
Eine Weile
herrschte Schweigen, als Lady Godolphins Kutsche weiterrollte.
»Hast du
ihn gesehen?« fragte Lady Godolphin schließlich.
»Mr. Garfield? Nein«,
antwortete Daphne.
»Warum
sollte ich denn von Garfield sprechen?« rief Lady Godolphin aus. »Ich meine
Arthur. Colonel Brian.«
»Nein«,
sagte Daphne. Sie wanderte in der dunklen Welt ihres eigenen Leides und blickte
kaum je nach draußen.
»Ein feiner
Mann«, seufzte Lady Godolphin. »Ich verstehe die Männer nicht. Immer dann, wenn
man erwartet, daß sie hinter einem herlaufen und fragen, was los ist, hauen
sie ab, als würden sie sich keinen Deut um einen scheren.«
»Ich
glaube, wenn einer wirklich liebt, dann fragt er, was los ist«, sagte Daphne
und zeigte zum erstenmal seit ihrer Verlobung ein bißchen Beteiligung.
»Nicht,
wenn sie sich einbilden, daß man ihnen einen Korb gegeben hat«, antwortete Lady
Godolphin finster. »Die Männer hassen nichts mehr, als wenn man sie
desarmiert. ›Die Hölle hat nicht solche Qual...‹«.
»Desavouiert?«
»Das sagte
ich doch. Ach, die Männer soll alle der Teufel holen. Ein Pack Follikel. Wir
sind da. Zieh dein hübsches silbernes Ballkleid an, Daphne, und leg um Himmels
willen deinen Panzer ab.«
»Ich trage
kein Korsett, Mylady.«
»Nur um
deine Seele«, bemerkte Lady Godolphin trocken. »Oder bist du wirklich so
verschlossen, wie du scheinst?«
Daphnes
innerer Widerstand regte sich bei dieser Anschuldigung mächtig, und sie wandte
Lady Godolphin ein vollkommen ausdrucksloses Gesicht zu. »Ich weiß nicht, was
Sie meinen«, sagte sie.
Lady
Godolphin merkte aber sehr wohl, als sie später aufbrachen, daß Daphnes Haar
lockerer, hübscher und weniger modisch frisiert war. Nur eine einzige Rose
schmückte es und hob sich gegen das Schwarz ab. Sie trug nicht ihr silbernes
Ballkleid, sondern ein schlichtes besticktes Musselinkleid, das mit
kirschfarbenen Bändern verziert war.
Der Grund
war aber nicht, daß Daphne etwas weniger »verschlossen« sein wollte, sondern
es lag vielmehr daran, daß Betty nicht da war. Bei der Vorbereitung für den
Empfang hatte ein Kammermädchen Daphne geholfen, und sie wollte jetzt nicht
noch einmal eine Dienerin von Lady Godolphin bemühen, damit diese nicht
etwa erfuhr, daß Betty ihre Pflichten vernachlässigte. Daphne hatte Betty schon
mindestens zwei Tage lang nicht gesehen und nahm an, daß sie sich beleidigt in
den unteren Räumen aufhielt. Sich bei Mice zu beklagen und Bettys Anwesenheit
zu verlangen, würde ebenfalls bedeuten, daß Lady Godolphin davon erfuhr. Daphne
fühlte sich dem Mädchen aus dem Pfarrhaus eng verbunden und wußte, daß Lady
Godolphin eine sehr scharfe Zunge haben konnte, wenn es um Nachlässigkeiten der
Dienerschaft ging.
Daphne sah
keinen Ausweg aus ihrem Leid. Es schien ihr, daß sie die Bürde des
schrecklichen Geheimnisses alleine tragen müsse. Wenn sie sich ihren älteren
Schwestern anvertraute, würden diese die Sache auf der Stelle ihren Ehemännern
erzählen, und das Geheimnis würde sich unter Umständen in der ganzen Stadt
ausbreiten. Sie konnte sich nicht einmal hinsetzen und die Angelegenheit ruhig
und vernünftig von allen Seiten betrachten, denn das würde zugleich bedeuten,
daß sie allen möglichen Greueln, vor denen ihre jungfräuliche Seele
zurückschrak, ins Auge sehen müßte. Sie war ständig müde, zwang sich aber
immer, blendend auszusehen, da sie spürte, daß die Leute sie in Frieden ließen,
wenn sie schön aussah. Sie war so besorgt und bekümmert, daß sie es nicht
einmal fertigbrachte, Mr. Archer zu hassen.
Als sie auf
dem Ball ankamen, hatte sie vor, jeden Tanz zu tanzen, um sich so müde zu
machen, daß sie zu Hause in einen traumlosen Schlaf sinken würde. Daphne
verstand immer noch nicht, was eigentlich vorgefallen war, doch sie fühlte sich
für die vermeintliche Schandtat ihres Vaters mitverantwortlich. Wenn sie doch
nur eine bessere Tochter gewesen wäre, vielleicht hätte Papa dann nicht...
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