Daphne - sTdH 4
hörte
erstaunt zu.
»Dein Vater
doch nicht«, sagte Lady Godolphin schließlich. »Er hat es doch nicht nötig,
seine eigene Tochter zu mißbrauchen – drücken wir es so aus, um deine
jungfräulichen Ohren zu schonen, Daphne. Er hat immer jemanden gehabt, wenn ihn
die Lust überkam. Er ist kein Heiliger, und kein Mensch behauptet, daß er deiner
Mutter immer treu war; aber kann man dem Mann einen Vorwurf machen? Einen
Krampf kann man schließlich nicht umarmen und lieben.«
»Aber
Inzest!« jammerte Daphne. »Was, wenn es wahr ist? Das einzige, was mich hoffen
läßt, daß das Baby nicht Annabelles Baby ist, ist die Tatsache, daß sie so
erstaunlich geheimnisvoll mit ihrer Schwangerschaft tat.«
»Ich habe
mir das Baby nie richtig angesehen«, sagte Lady Godolphin und stand auf. »Doch
jetzt schauen wir es uns einmal genau an.«
»Aber doch
nicht um diese Zeit«, protestierte Daphne.
»Es ist
bald sechs Uhr«, entgegnete Lady Godolphin. »Die Kammermädchen werden schon auf
sein. Wir sagen ihnen, daß wir eine Überraschung für Baby Charles haben und sie
selbst in sein Bettchen legen wollen. Was könnten wir denn mitnehmen? – Ich
weiß es schon. Das ist genau das Richtige.«
Sie
klingelte und wartete ungeduldig, bis der Kummer gewohnte Mice erschien, der
nur rasch seine Livree angezogen hatte.
»Packen Sie
das ein«, sagte Lady Godolphin und zeigte auf ein Bild an der Wand, das einen
wild aussehenden Löwen darstellte, wie er seine blutige Beute verschlang –
genau das Richtige, um einem Kind für sein ganzes Leben einen Schrecken
einzujagen.
»Und lassen
Sie die Kutsche vorfahren«, fügte Lady Godolphin hinzu.
Mice warf
einen sprechenden Blick auf die Brandyflasche, tat aber wie ihm befohlen.
»Hoffentlich
werden wir nicht ertappt«, flüsterte Daphne, als sie das überraschte
Kammermädchen in die Halle des großen Hauses in der Conduit Street führte und
vor ihnen die Treppe hinaufging.
Lady
Godolphin und Daphne folgten. Das Bild trugen sie gemeinsam, da sie dem
Mädchen ausgeredet hatten, einen Diener zu holen, um ihnen zu helfen.
»Warum sind
die Kinderzimmer immer ganz oben?« stöhnte Lady Godolphin.
Schließlich
erreichten sie die Kinderzimmertür. Lady Godolphin entließ das Mädchen mit
einer Kopfbewegung. Sie stießen leise die Tür auf und schlichen hinein.
Im Kamin
brannte noch eine schwache Glut, und das Talglicht in dem durchlöcherten
Behälter neben der Wiege ließ kleine Lichtpunkte über die Decke tanzen.
Sie setzten
das Bild ab, und Lady Godolphin befestigte an der Verpackung
ein Briefchen, das sie in aller Eile geschrieben hatte. »Such mir eine Kerze«,
flüsterte sie. »Ich will mir das Kind genau ansehen.«
Daphne
zündete eine Kerze in einem flachen Kerzenhalter an und reichte ihn Lady
Godolphin, die ihn hochhielt und sich über die Wiege beugte. Daphne schaute
auch hinein, und ihr drehte sich das Herz im Leibe um. Das runde, rote und
sogar im Schlaf ärgerliche Gesicht des Babys, das dicke schwarze Haar, die
derben Fäustchen, alles erinnerte sie an ihren Vater.
Lady
Godolphin nickte ein paarmal mit dem Kopf und blies dann die Kerze aus.
Sie gab
Daphne einen Wink, ihr aus dem Zimmer zu folgen. Leise gingen sie die Stufen
hinunter. Sie waren gerade auf dem zweiten Absatz angekommen, als sich auf der
linken Seite des Flurs eine Tür öffnete.
»Verflucht!«
murmelte Lady Godolphin. Sie blickte aufgeregt herum, öffnete die Tür eines
großen Schranks und zog Daphne hinter sich hinein.
»Ach, die
gnädige Frau hat es sich endlich überlegt, nach Hause zu kommen«, hörten sie
die Stimme des Marquis von Brabington.
»O
Peter...«, sie hörten Annabelle gähnen, »ich bin so furchtbar müde, und woher
sollte ich denn wissen, daß du zurück bist? Und woher sollte ich wissen, daß du
in einem Anfall von schlechter Laune den Ball im Sturmschritt verläßt?«
»Weil du
zur Abwechslung einmal an mich denken könntest«, antwortete der Marquis, »statt
immer nur alle deine Gedanken egoistisch um dich selbst kreisen zu lassen. Ich
kann es gerade noch ertragen, daß du mich wegen dieses häßlichen Pummels vernachlässigst,
aber auf einem Ball zu bleiben und mit anzusehen, wie meine Frau mit den Gecken
von der Bond Street herumkokettiert, übersteigt meine Toleranz.«
»Was du
nicht sagst«, lachte Annabelle. »Ich tue, was mir paßt.«
»Nein. Nicht heute
nacht, Mylady. Bevor ich dich verlasse, werde ich dir noch einen Denkzettel
verpassen.«
»Peter! Du
hast mein Kleid
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