Daphne - sTdH 4
der Colonel. »Es bricht mir das Herz, wenn du mich so
schneidest.«
»Philantropist!«
zischte Lady Godolphin.
Colonel
Brian hatte hinreichend Erfahrung in der Klärung von Lady Godolphins falsch
angewandten Fremdwörtern gesammelt, und so wußte er auch gleich, daß seine
einstige Liebe nur einen Philogyn, einen Schürzenjäger, meinen konnte.
»Du hast
damit angefangen«, sagte er so vernünftig, daß Lady Godolphin erst recht wütend
wurde, »als du mich wegen dieses jungen Schnösels verlassen hast.«
»Aber dann
bist du mit diesem dicken Weib aus der City auf und davon«, knirschte Lady
Godolphin mit zusammengebissenen Zähnen. »Laß mich jetzt bitte vorbei.«
»Nein«,
entgegnete Colonel Brian, der die Ruhe verlor. »Unsere Trennung ist sehr dumm
gewesen.«
»Dumm,
aha?« Lady Godolphin warf sich so in ihre beachtliche Brust, daß diese wie eine
Galionsfigur vorstand. »Lassen Sie mich durch, Sie sauberer Herr, Sie!«
»Niemals!«
»Die Leute
sind schon aufmerksam geworden, und du wirst historisch. «
Das
wohlbeleibte Paar drängelte sich endlich weiter und erlaubte Lady Godolphin,
mit überraschender Behendigkeit an der schlanken Gestalt des ältlichen Colonel
vorbeizuschlüpfen und sich geräuschvoll die Treppe hinabzubewegen.
Sie freute
sich schon auf den Genuß einer leidenschaftlichen Szene mit dem Colonel, die
ihr die langweilige Wartezeit auf die Kutsche versüßen würde – denn sicher
würde er ihr folgen.
Um so
größer war ihre Enttäuschung, als sie schließlich zurückschaute und
feststellen mußte, daß Colonel Brian auf dem oberen Treppenabsatz angelangt war
und einer Dame, die aussah wie ein Schaf in Spitze, wohlgefällig in den
Ausschnitt lächelte.
All der
alte Schmerz und Kummer kehrten zurück, und Lady Godolphin brütete auf der
Schwelle des Hauses der Brothers' wie eine massige Bulldogge vor sich hin, der
ein alter Pudel gerade ihren Knochen weggeschnappt hat.
Die
Vorstellung, den Rest der Nacht in ihrem Schlafzimmer auf und ab gehend zu
verbringen, machte ihr Angst. Ihr fiel ein, daß die Rutherfords einen Ball
gaben. Der Herzog und die Herzogin hatten die Einladungen schon vor ein paar
Wochen verschickt. Aber Lady Godolphin hatte in ihrer üblichen achtlosen Art
nicht geantwortet. Wenn sie erst etwa eine halbe Stunde nach Mitternacht
auftauchten, empfingen der Herzog und die Herzogin nicht mehr und machten
deshalb auch keine abfälligen Bemerkungen über unhöfliche und gedankenlose
Leute.
»Wir gehen
noch zu den Rutherfords. Am besten fahren wir vorher heim und ziehen uns um«,
sagte Lady Godolphin grollend. »Wir setzen Sie an Ihrem Haus ab, und Sie holen
uns später wieder ab, Mr. Archer.«
»Ich hatte
nicht vor, noch einmal auszugehen«, sagte Daphne.
»Dann hast
du es jetzt vor«, schnauzte Lady Godolphin sie an. »Mir schmerzen alle Glieder,
weil ich euch zwei Wachsfiguren die ganze Zeit durch die Gegend schleifen muß.
Das ist ja wohl das mindeste, was du für mich tun kannst.«
Daphnes
Augen verdunkelten sich einen Moment lang vor Schmerz. Sie faßte sich aber
sofort wieder.
Lady
Godolphin, die durch ihren eigenen Kummer feinfühliger geworden war, merkte es
trotzdem, und es wurde ihr auch zum erstenmal richtig klar, daß Daphne
Armitage doch mehr war als die gefühllose, hohlköpfige Modepuppe, für die sie
sie gehalten hatte. Etwas zwang sie, Daphnes Hand zu drücken, und beim flackernden
Schein der Straßenlampen sah Lady Godolphin in Daphnes großen Augen Tränen
glänzen.
»Ich hoffe,
Ihre Kutsche kommt bald«, sagte Mr. Archer. »Ich habe nämlich einen Rußfleck
auf meinem Jabot.«
Lady
Godolphin fand plötzlich, daß sie an diesem Abend schon mehr als genug von Mr.
Archer hatte. »Ich weiß, daß Sie zu der Gesellschaft bei den Alvaneys gehen
wollten, Mr. Archer«, sagte sie. »Man sagt, daß der Prinzregent dort sein wird.
Warum gehen Sie nicht hin?«
Die Kutsche
kam, und Mr. Archer stieg hinter den Damen hinein, wobei er sich fragte, wann
er den Wunsch geäußert hatte, zu den Alvaneys zu gehen, da er sich nicht
erinnern konnte, überhaupt je gesagt zu haben, daß er zu einem bestimmten
Ereignis gehen wolle. Aber er hatte sich gerade eine neue Daunenweste geleistet,
und es wäre fein, wenn er die Aufmerksamkeit des Prinzregenten erregen könnte.
Mr. Archer hatte in seiner ungeheuren Eitelkeit ganz vergessen, daß er Daphne
Armitage gezwungen hatte, sich mit ihm zu verloben. Sie war genauso, wie er
sich seine Verlobte erträumt hatte: kühl,
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