Daphne - sTdH 4
zerrissen!«
Man hörte
gedämpfte Kampfgeräusche und nach einem langen Schweigen einen Laut, als ob
jemand auf ein Bett geworfen worden wäre.
»Laß uns
gehen«, murmelte Lady Godolphin.
Sie
schlichen vorsichtig die Stufen hinunter. Als sie in der Halle waren, hörten
sie von oben einen hohen, durchdringenden Schrei. »Er bringt sie um«, stieß
Daphne hervor und wollte ihrer Schwester zu Hilfe eilen.
»Keineswegs«,
grinste Lady Godolphin. »Jetzt kommt alles in Ordnung.«
Sie gingen
zur Kutsche und stiegen ein.
»Aber das
Baby«, jammerte Daphne. »Ich habe nie zuvor bemerkt, wie sehr es Vater
ähnelt.«
»Ruhig
Blut«, sagte Lady Godolphin besänftigend. »Es sieht kein bißchen aus wie
Charles. Ich kann mich noch gut an deinen Vater als jungen Mann erinnern, weißt
du. Du wirst es nicht für möglich halten, Daphne, aber er war wunderbar schlank
mit einem verträumten Gesicht und lockigen Haaren. Ein kleiner Adonis.
Peregrine und James kommen auf ihn raus. Sie haben ja auch nicht so wie dieses
Baby ausgesehen, als sie in der Wiege lagen, oder?«
»Nein«,
sagte Daphne langsam, »aber ich bin überzeugt, daß das Baby nicht ihres ist.
Annabelle ist während der neun Monate zwar überheblicher, aber nicht dicker
geworden. Lord Brabington ist ein feiner Mann und würde nie seinen eigenen Sohn
so links liegenlassen, wie er das mit Charles tut.«
»Da gebe
ich dir recht. Aber Annabelle wollte so verzweifelt ein Baby, und irgendwie hat
es dein Vater fertiggebracht, ihr eines zu verschaffen. Wir müssen ganz
vorsichtig vorgehen, bis wir einen Weg gefunden haben, Mr. Archer zum Schweigen
zu bringen. Ich habe ihn nie für einen Frauenheld gehalten. Wie küßt er dich?«
»Er küßt
mich gar nicht«, sagte Daphne überrascht. »Das heißt, ...hierhin.« Sie deutete
auf ihre Stirn.
»Aha! Es
scheint mir, er will sich tarnen und heiraten, damit man ihm glaubt, daß er ein
richtiger Mann sei. Ich habe nichts gesagt, weil du so aussahst, als seist du
ganz zufrieden damit, eine Wachspuppe zu heiraten, und weil du, verzeih mir die
Bemerkung, auch wie eine ausgesehen hast.«
»Ich habe
solche Angst. Was soll ich denn machen?«
»Dich
häßlich machen«, antwortete Lady Godolphin, »und dann fangen wir an, Mr. Archer
überall dorthin zu führen, wo man nicht hingeht. Auf die Art wird er die
Freude an dir verlieren. Ich schreibe Charles und lasse ihn nach London kommen.
Sobald wir wissen, woher das Baby stammt, können wir Mr. Archer den
Marschbefehl geben. Aber wenn wir jetzt schon etwas unternehmen, verbreitet er
diese schmutzige Geschichte, und obwohl das Baby nicht
von deinem Vater ist – wie konntest du so etwas nur glauben? –, würde es doch
einen Wirbel geben. Auf jeden Fall müssen wir zuerst aus ihm herauskriegen,
woher das Baby kommt.«
»Aber ich
fürchte mich so vor Mr. Archer.«
»Vor diesem
Waschlappen? Pah!« Lady Godolphin legte einen Arm um Daphnes Schultern. »Ich
kümmere mich um alles. Armes Kind. Du brauchst dir jetzt keine Sorgen mehr zu
machen.«
Daphne
legte ganz plötzlich ihren Kopf an Lady Godolphins Schulter, lächelte ein wenig
und schlief augenblicklich ein.
»Du liebe
Güte«, sagte Lady Godolphin. »Man sieht nie, was unter der Oberfläche vor sich
geht. Ich weiß nicht, was ich tun soll, bevor ich mit Charles gesprochen habe.
Inzest! Hochwürden Charles Armitage!«
Lady
Godolphins Augen fielen zu, und bald war sie ebenfalls eingeschlafen.
Der
Pfarrer von St.
Charles and St. Jude war im Einklang mit der Welt, als er seinem alten Freund,
Squire Radford, auf den Stufen seines Hauses gute Nacht sagte.
Mr.
Armitage hatte sich an einem ausgezeichneten Dinner und einem ausgezeichneten
Gewissen erfreut. Der Squire hatte mit warmen Worten anerkannt, daß er seine
Habsucht hintangestellt und erlaubt hatte, daß sich Daphne verlobte. Mr.
Garfields Restaurator machte seine Arbeit großartig, und der Pfarrer vergaß
ganz, daß er einmal vorhatte, die tausend Guineen in die eigene Tasche zu
stecken.
Die Luft
war kalt und frisch, doch ohne Anzeichen von Bodenfrost. Der morgige Tag würde
ein wunderbarer Jagdtag werden; einige Bauern aus der Gegend wollten sich dem
Pfarrer und seiner Meute anschließen, um endlich den alten Fuchs zu erwischen.
»Gute
Nacht, und schönen Dank, Jimmy«, sagte der Pfarrer und drückte sich seinen
Schaufelhut in die Stirn. »Ich kann mich nicht erinnern, wann es mir zuletzt so
gut geschmeckt hat.« Er knöpfte sich beim Sprechen den Mantel zu. Ein Knopf
Weitere Kostenlose Bücher